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Management von Vergiftungen beim Wiederkäuer

1. Telefonische Anweisungen an den Tierbesitzer 

Was kann und soll der Besitzer bis zum Eintreffen des Tierarztes unternehmen?
-Weitere Giftaufnahme unterbinden.
-Vermeintliche Giftquelle sicherstellen, nicht wegwerfen.
-Tier nicht füttern, Wasser ad libitum.
-Tiere je nach Gegebenheit an einen separaten, gut eingestreuten und ruhigen Platz verbringen.
 

2. Anamnese 

Durch Befragung des Tierbesitzers und Besichtigung der Stallungen, Weiden und Futterlagerräume muss Folgendes abgeklärt werden:
-Wann traten die ersten Symptome auf?
-Sind auch andere Tiere aus dem Bestand erkrankt?
-Ist eine besondere Tiergruppe betroffen?
-Was wurde gefüttert?
-Wurde in letzter Zeit eine Futterumstellung vorgenommen?
-Hatten die erkrankten Tiere Zugang zu giftigen Pflanzen oder Gartenabfällen?
-Ist in letzter Zeit verdorbenes Futter verfüttert worden?
-Hatte das Tier Zugang zu Insektiziden, Rodentiziden, Herbiziden, Düngemitteln, Silierzusätze, oder wurde in seinem Aufenthaltsbereich oder der näheren Umgebung eine Schädlings- oder Unkrautbekämpfung durchgeführt?
-Traten in letzter Zeit Erkrankungen im Bestand auf?
-Wurde das Tier in letzter Zeit einer Ekto- oder Endoparasitenbehandlung unterzogen?
-Wurden Medikamente verabreicht?
-Wurde in der Umgebung des Tieres etwas verändert (Bauarbeiten, Anstriche, Stallbelüftung)?
 
Wenn sicher ist, dass der Patient einem Giftstoff ausgesetzt war, muss folgendes geklärt werden:
-Welcher Giftstoff?
-Name des Präparates?
-Wie wurde das Gift aufgenommen (oral, perkutan, inhalativ)?
-Wieviel wurde aufgenommen?
-Wann wurde das Gift aufgenommen?
-Wie häufig wurde das Gift aufgenommen?
 

3. Diagnostische Massnahmen

Probenmaterial 
Die klinische Untersuchung des Patienten kann durch labordiagnostische Methoden zum Nachweis von Giftstoffen ergänzt werden. Eine solche Untersuchung auf Gift ist in der Regel nur dann sinnvoll, wenn:
-andere Krankheits- oder Todesursachen ausgeschlossen werden können.
-ein begründeter Verdacht auf ein bestimmtes Gift besteht.
-die Proben fachgerecht gesammelt und aufbewahrt werden.
-die hohen Laborkosten in einem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen der zu erwartenden Information stehen.
 
Wenn möglich sollte vor Probenentnahme die Untersuchungsstelle kontaktiert werden.
Den eingesendeten Proben sollte unbedingt ein detaillierter Vorbericht beiliegen: Angaben zu Anamnese, Anzahl betroffener Tiere, Symptome, bisherige Untersuchungen, Verdachtsdiagnose, Therapie, Zeitpunkt und Ort der Probenentnahme.
 
Proben von lebenden Tieren
Proben in Plastikbehältern kühlen (Blut) oder einfrieren. Alle Behälter sorgfältig beschriften.
-Blut (heparinisiert), 20-30 ml
-Urin, 50 ml
-Panseninhalt, 200 g
-Haare, 20 -30 g
 
Proben von verendeten Tieren
Proben in Plastikbehältern kühlen (Blut) oder einfrieren. Alle Behälter sorgfältig beschriften.
-Leber, 100-250 g
-1 Niere
-Perirenales Fett, 100 g
-Gehirn (1/2 eingefroren, 1/2 in 4% Formaldehyd)
-Panseninhalt (Darminhalt ist nutzlos), 0.5-1 kg
-Blut (Herzkammerinhalt)
-Urin, falls vorhanden
 
Futter, Köder, Tabletten, verdächtigtes Material
-Heu, Stroh, Kraftfutter, Silage, Wasser, Milchaustauscher, Mineralsalze, 1-2 kg.
-Mehrere Proben an verschiedenen Stellen sammeln, damit das Untersuchungsmaterial repräsentativ für die Gesamtmenge ist.
-Proben in Plastiksäcke packen, beschriften und gekühlt lagern oder sofort in geeignetes Labor senden.
 
Proben für den Nachweis von Schimmelpilzen
-Material (1-2 kg) trocknen und in Papier einwickeln.
-Plastiksäcke oder Plastikbehälter sind nur geeignet, wenn die Proben sofort eingefroren werden.
 
Histologisches Material
Nur frisches Gewebe verwenden. Alle Gefässe mit Etiketten beschriften.
-Verschiedene Bezirke der Organe anschneiden, je 2-3 Würfel von 0.5-1 cm in 4%igem Formaldehyd (= 10% Formalin) lagern.
 
Giftpflanzennachweis
Viele Pflanzen sind in der Giftpflanzen-Datenbank aufgeführt.
-Ganze Pflanze oder mindestens einen Ast zwischen Zeitungspapier pressen.
-Pflanze fotografieren.
 
Forensische Fälle 
Vergiftungen, die auf fahrlässigen oder böswilligen Umgang mit Giftstoffen zurückzuführen sind, ziehen oft zivil- und/oder strafrechtliche Verfahren nach sich. Bei Versicherungsfällen und im Vorfeld solcher Verfahren muss deshalb die Probenasservierung für eine unanfechtbare Beweisführung wie folgt durchgeführt werden:
-Auf jeden Fall eine Untersuchung der gestorbenen oder getöteten Tiere veranlassen: Sektion, Histologie.
-Bei Sektionen einen Kollegen als Zeugen zuziehen.
-Genügend Material sicherstellen, fachgerecht verpacken und lagern (Untersuchungsstelle kontaktieren).
 
Die Identität der Proben muss sichergestellt werden durch:
-Beizug einer Amtsperson.
-Erhebungsprotokoll über Art, Inhalt, Entnahmestelle und Aufbewahrung der Proben.
-Genaue Kennzeichnung, Versiegelung der Proben.
-Die Unterschrift des Tierbesitzers, des Tierarztes, der Amtsperson und der Zeugen.
 

4. Notfallauskunft 

-Institut für Veterinärpharmakologie und -toxikologie
Tel.: +41 (0)44 635 87 78
Internet: https://www.vetpharm.uzh.ch
  
-Tox Info Suisse
Tel.: 145 (Notfälle Schweiz), +41 (0)44 251 51 51 (Notfälle Ausland) oder +41 (0)44 251 66 66 (andere Anrufe), für Tierärzte kostenpflichtig
Internet: https://www.toxinfo.ch
  
-Lokale Giftinformationsstelle
Siehe Notfallnummern im Telefonverzeichnis
 

5. Notfalltherapie 

Tier von allen potentiellen Giftquellen fernhalten (auch Stall- und Weidegefährten nicht vergessen).
 
Atmung 
-Reinigung und Freihalten der Atemwege, Aspirationspneumonie verhindern.
-Bei Atemdepression kann Doxapram (0.5-1.0 mg/kg i.v.) verabreicht werden. Eine Überdosierung von Analeptika führt zu Krämpfen.
-Bei Lungenödem Corticosteroide (z.B. Dexamethason 0.04-0.08 mg/kg i.m. oder s.c.) verabreichen
-Falls möglich, Sauerstoffgabe über Schlauch, Maske oder Tubus.
-Allenfalls Tracheotomie.
 
Kreislauf 
Schocktherapie, Substitution von Flüssigkeit und Elektrolyten:
-Dextran 60: 1.2 g/kg/24 Std. oder 20 ml 6%ige Lösung/kg/24 Std.
-Elektrolytlösung und Glukose: erste Stunde 10 ml/kg KGW (im Sturz), danach 80 ml/kg/24 Std (mittlerer Tropf).
Vorsicht: bei Nierenschäden kein Ringerlactat verwenden, wegen möglicher Kaliumretention.
-HES: in 6%-oder 10%iger Konzentration in isotoner Elektrolytlösung im Sturz. Die Tagesdosis ist auf maximal 1.2 g/kg i.v. oder 10-20 ml/kg i.v. beschränkt. Hämatokrit überwachen!
-Bluttransfusion.
 
Krämpfe 
-Diazepam: 2 mg/kg i.v. oder i.m., eventuell nach 10 Minuten wiederholen.
Vorteile: stark muskelrelaxierend, antikonvulsiv, keine Depression von Kreislauf und Atmung.
Nachteile: Preis, nicht für Nutztiere zugelassen!
-Xylazin: 0.1-0.3 mg/kg i.m. oder 0.05-0.1 mg/kg i.v.; Nachteil: Blutdrucksenkend
-Pentobarbital: 10-20 mg/kg langsam i.v.
 

6. Dekontamination 

Magen-Darm-Trakt
-Rumenotomie.
 
Adsorbens 
-Aktivkohle, Carbo medicinalis 1-3 g/kg p.o., als 20-30% wässrige Suspension (200-300 g/l) p.o. eingeben.
-Aktivkohle ist das Adsorbens der Wahl. Es gibt nur wenige Stoffe, die nicht von Aktivkohle adsorbiert werden, nämlich Schwermetalle, Glykole, Alkohole, Aliphatische Kohlenwasserstoffe, Nitrit, Laugen und Säuren. Ein weiterer Vorteil der Aktivkohle ist, dass durch die Adsorbtion von Giftstoffen, die mit der Galle ausgeschieden, aber normalerweise über den Darm rückresorbiert werden, der enterohepatische Kreislauf unterbrochen wird. Ferner gelangen gewisse Stoffe auch unabhängig von der biliären Ausscheidung in den Darm zurück und werden dort gebunden (sogenannte "Darm-Dialyse").
-Aktivkohle kann im Abstand von 8-12 Stunden wiederholt verabreicht werden.
 
Nicht empfehlenswert sind:
-Universalantidot: 2 Teile Aktivkohle, 1 Teil Magnesiumhydroxid, 1 Teil Tannin.
-Kombination Aktivkohle + Paraffinöl oder Aktivkohle + Sulfonamide
-Gebrannter Toast ist wirkungslos.
 
Laxantien 
-Glaubersalz (= Natriumsulfat, nicht Magnesiumsulfat), 1 g/kg als 5-10%ige wässrige Lösung (50-100 g/l) fraktioniert in Portionen von 100 g auf den Tag verteilt p.o. eingeben.
-Aktivkohle und Glaubersalz können im Abstand von 8-12 Std wiederholt eingegeben werden.
 
Dekontamination von Haut und Fell 
-Scheren ohne Haut zu verletzen!
-Wasserlösliche Gifte, ätzende Verbindungen: Waschen mit viel lauwarmem Leitungswasser, mindestens 10 Min spülen, gut abtrocknen
-Lipidlösliche Gifte: Waschen mit lauwarmem Wasser, alkalifreie Seife abwechslungsweise mit Speiseöl verwenden, gut abspülen und abtrocknen.
-Handschuhe und Schutzkleider benützen! Organische Lösungsmittel oder Petroleumdestillate dürfen nicht angewendet werden.
-Augen, Schleimhäute: Mindestens 10 Minuten mit viel Wasser spülen.
 

7. Forcierte Ausscheidung 

-Verdünnen mit viel Flüssigkeit (oral und parenteral)
-Diurese mit Mannitol, 1-2 g/kg/24 Std. (5-10 ml einer 20%igen Lösung) i.v.
-Diurese mit Furosemid 0.5-1.0 mg/kg i.v. oder i.m., 2-4 mg/kg p.o., ein- bis zweimal täglich
 

8. Antidottherapie 

Nur selten ist ein spezifisches Antidot verfügbar! Beispiele:
 
Toxisches AgensAntidot
Aethylenglykolsiehe Ethylenglykol
ArsenDimercaprol (BAL)
BenzodiazepineSarmazenil
BleiCaNa2EDTA, DMSA
CarbamateAtropinsulfat
CoumarinderivateVitamin K1
CyanideNatriumnitrit, Natriumthiosulfat
EisenDeferoxamin
EthylenglykolEthanol
HarnstoffEssig
KupferAmmoniummolybdat + Natriumsulfat, D-Penicillinamin
Nitrat/NitritMethylenblau
OrganophosphateAtropinsulfat
QuecksilberDMPS (Dimercaptopropansulfat)
ThalliumEisen(III)-hexacyanoferrat
ZinkCaNa2EDTA
 

9. Weitere symptomatische Massnahmen 

Metabolische Azidose 
-Ringerlaktat: bis 80 ml/kg/24 Std.
-Natriumbicarbonat: 2-5 mmol/kg (2-5 ml einer 8.4%igen Lösung) i.v., bei einer maximalen Infusionsgeschwindigkeit von 1.5 mmol/kg/Stunde.
-Besteht die Möglichkeit der Bestimmung des Basendefizites (-BE) mittels Blutgasanalyse, so ist dies natürlich ein grosser Vorteil: (-BE) x 0.3 x kg Körpergewicht = mmol Bikarbonat, die dem Tier verabreicht werden müssen.
 
Analgetika und Kolikbehandlung 
-Bei starken Schmerzen Verabreichung von Analgetika, Metamizol (20-50 mg/kg i.v. oder tief i.m.) oder Flunixin (1-2 mg/kg i.v. oder i.m.). Bei gleichzeitiger Kolik ein Spamsolytikum wie Butylscopolamin (0.2 mg/kg i.v.)
 
Sedation 
-Ruhe Aufgeregte Tiere möglichst an einen ruhigen, vorzugsweise abgedunkelten Ort verbringen.
-Xylazin: 0.05-0.15 mg/kg i.v.; 0.1-0.3 mg/kg i.m. Vorsicht: Blutdrucksenkung, Atemdepression, Krämpfe bei Überdosierungen.
-Diazepam: 0.5-1.5 mg/kg i.v. oder i.m. Vorteile: stark muskelrelaxierend, antikonvulsiv, keine Depression von Kreislauf und Atmung; Nachteile: Preis, nicht für Nutztiere zugelassen.
-Neuroleptika (z.B. Acepromazin und Azaperon) sind bei Vergiftungen kontraindiziert. Neuroleptika wirken antiemetisch, erhöhen den Muskeltonus, können Konvulsionen einleiten und beeinträchtigen die Kreislaufregulation.
 
Regulierung der Körpertemperatur 
-Bei Hypothermie: warm halten mit Wolldecken oder/und Wärmelampen (vorsichtig!)
-Bei Hyperthermie: kühlen mit kaltem Wasser.
 
Antibiotische Versogung 
-Bei Erosionen, Verätzungen und Intoxikationen durch Aspiration Antibiotika (Breitspektrumantibiotika wie z.B. Tetracycline) zur Prophylaxe sekundärer bakterieller Infektionen einsetzen.
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