Zuerst muss der Allgemeinzustand beurteilt und stabilisierende Massnahmen und Analgesie eingeleitet werden. Begleitverletzungen sind häufig und können leicht übersehen werden. Eine adäquate Wundexploration und Wundversorgung ist wichtig, speziell für penetrierende Bissverletzungen in den Thorax, das Abdomen oder in Gelenke. Beim Sondieren der Wunde sollte die Gefahr der Keimverschleppung beachtet werden. Zusätzlich können verschiedenen bildgebenden Verfahren eingesetzt werden, um das Ausmass der Verletzung abzuschätzen.
Ob ein Abstrich einer Bissverletzung initial sinnvoll ist, ist fraglich. Tatsächlich konnte in mehreren Studien nachgewiesen werden, dass bei den Bissverletzungen, bei denen es zu eine Infektion nach Erstversorgung kam, andere Bakterien nachgewiesen werden als initial nach dem Beissvorfall. In der Regel kommt es hier, insbesondere bei Patienten, die initial ein Antibiotikum erhalten haben und ähnlich wie bei den SSI, zur Selektion von Bakterien aus der ESKAPE Gruppe (Enterococcus faecium, Staphylococcus aureus/pseudintermedius, Klebsiella pneumoniae, Acinetobacter baumannii, Pseudomonas aeruginosa, Enterobacter-Spezies). Aus diesem Grund soll ein Abstrich nur bei Wundinfektion nach initialer Therapie erfolgen.
Therapeutisch stehen Wundreinigung, Debridement und Lavage im Vordergrund. Bei tiefen bzw. grossflächigen Bissverletzungen kann eine frühe (innerhalb von 6 - 8 Stunden) antibiotische Behandlung sinnvoll sein (siehe Tabelle), bevor das Resultat der Kultur und Antibiogramm vorliegt. Bei Anzeichen für Sepsis, schlechtem Allgemeinzustand, entzündlichem Leukogramm oder bei Gelenkbeteiligung ist eine Antibiotikagabe empfehlenswert.
Tiefe/penetrierende Bissverletzung | |||
Zu beachten | Therapeutisch stehen Wundreinigung, Debridement und Lavage im Vordergrund. | ||
Priorisierung/Antibiotika | Dosierung | Behandlungsdauer | Bemerkungen |
First line | |||
Ampicillin-Sulbactama |
12,5 - 20 mg/kg 3 × tgl.
30 mg/kg 3 × tgl. i.v.p.o. oder i.v. |
7 - 10 Tage | |
Cephalexin | 20 - 30 mg/kg 2 - 3 × tgl. p.o. | ||
Second line | |||
Enrofloxacin | Katze: 2,5 mg/kg 2 × tgl. p.o. | 7 - 10 Tage | Hohe Resistenzraten gegen Fluorchinolone, nur nach Antibiogramm. Eine Enrofloxacin-Dosis von 5 mg/kg/Tag sollte bei Katzen aufgrund der Gefahr von Retinopathien nicht überschritten werden. |
Marbofloxacin | 2 mg/kg 1 × tgl. p.o. |
a | Wird teils zur intravenösen Anwendung anstelle von Amoxicillin-Clavulansäure bei Hunden verwendet (s. Kapitel 1.12.1, Unerwünschte Arzneimittelwirkungen nach intravenöser Anwendung von Amoxicillin + Clavulansäure). Die beiden Präparate unterscheiden sich primär bzgl. Pharmakokinetik, das Wirkspektrum ist für Amoxicillin und Ampicillin beinahe identisch. Für Clavulansäure und Sulbactam können aber Unterschiede im Wirkspektrum bei verschiedenen Betalaktamasen auftreten. |
Gemäss Studien zeigen Amoxicillin/Clavulansäure und Cephalosporine der 1. und 2. Generation eine gute Wirksamkeit bei mehr als 85% der Isolate bei Bissverletzungen. Bei Fluorchinolonen und Cephalosporinen der 3. Generation zeichnen sich zunehmend Resistenzen ab (weniger als 70 - 80% der isolierten Erreger waren empfindlich). Ausserdem gelten Fluorchinolone und 3. Generation Cephalosporine gemäss WHO als «Highest Priority Critically Important Antimicrobials». Aus diesen Gründen sollten diese Wirkstoffe nur gemäss Antibiogramm eingesetzt werden.
Studien über mehrere Jahre aus Deutschland haben einen stetigen Anstieg des Anteils resistenter Bakterien in Bissverletzungen gezeigt. Es konnte auch nachgewiesen werden, dass bereits eine einmalige Antibiotikagabe wenige Stunden vor Erstversorgung und Beprobung bereits signifikant mit dem Auftreten resistenter Bakterien korreliert. Diese Daten unterstreichen, dass es auch bei Bissverletzungen unerlässlich ist, gut abzuwägen, ob eine Antibiotikatherapie indiziert ist.
Eine Antibiotikatherapie ohne vorherige chirurgische Revision ist hingegen nie sinnvoll, da durch die Bissverletzung ein Totraum gefüllt mit Blut und Serom-Flüssigkeit entsteht. Allenfalls ist auch zerrissenes Gewebe vorhanden. In dieser Umgebung (proteinreich, nicht durchblutet) können keine ausreichenden Wirkspiegel des Antibiotikums erreicht werden. Es muss zunächst immer eine saubere, gut perfundierte Situation geschaffen werden. Dies gelingt nur mit Debridement. Eine Antibiotikagabe ohne Debridement hingegen fördert die Bildung resistenter Bakterien durch suboptimale Anreicherung am Ort des Geschehens.