Die Zahnpulpa ist ein gefäss- und nervenreiches Gewebe. Bei einer Eröffnung der Pulpahöhle, beispielsweise bei einer Kronenfraktur, wird die Pulpa rasch von Bakterien der Maulflora besiedelt. Diese Infektion führt innerhalb von 24 - 48 Stunden zu einer irreversiblen Pulpitis, dann zu einem pulpären Gangrän (Maulfäule). Selbst wenn gleich zu Beginn der Infektion rasch gehandelt wird, ist die Wirkung einer Antibiotikabehandlung ungewiss und die Chance, die pulpäre Infektion in den Griff zu bekommen, strebt gegen null.
Auch ohne direkte Pulpaexposition, bei einer einfachen Kronenfraktur (Schmelzabsplitterung, Zahnspaltung ohne Eröffnung der Pulpahöhle) oder bei einer atraumatischen Pulpitis bleibt das Risiko einer endodontischen Infektion (Zahnwurzelinfektion) hoch. Die Pulpitis muss chirurgisch behandelt werden. Eine alleinige Medikamentenbehandlung ist ineffizient.
Die Ursachen von Pulpitis sind vielfältig. Beim Hund sind Traumata (Beissen auf Knochen oder sonstige harte Objekte, Kämpfe, Packen von Objekten mit den Fangzähnen, Beissübungen) die Hauptgründe für Pulpitis. Weitere, seltenere Gründe sind Karies, Hypoplasie des Zahnschmelzes, elektrischer/thermischer Schock, Resorption, Abrasion und Abnutzung. Bei der Katze werden Zahnfrakturen durch Autounfälle oder das «high rise syndrom», aber auch durch Zahnresorptionen verursacht.
Pulpäre Infektionen werden durch die bakterielle Flora der Maulhöhle verursacht. Da die Pulpahöhle eng und wenig belüftet ist, setzt sich die vorherrschende Flora ausschliesslich aus anaeroben Keimen, insbesondere Eubacterium spp., Propionibacterium spp., Bifidobacterium spp., Peptostreptococcus micros, Veillonella spp. und meist Streptococcus spp. zusammen.
Zahnfrakturen sind üblicherweise leicht zu diagnostizieren. Trotzdem muss darauf geachtet werden, eine Schrägfraktur der Reisszähne nicht zu verpassen, da diese häufig unauffällig sind und hinter einer Zahnsteinschicht verborgen sein können. Bei einer atraumatischen Pulpitis ist das einzige sichtbare klinische Anzeichen eine Farbveränderung der Krone. Pulpitis ist nur in akuten Stadien schmerzhaft und häufig zeigen die Tiere keine offensichtlichen Beschwerden. Wenn sich ein periapikaler Abszess oder ein Granulom entwickelt, zeigt sich der Schmerz durch zeitweilige Beschwerden beim Kauen, durch einseitiges Kauen oder selten durch Anorexie. Wenn sich die Infektion über den Kieferknochen ausbreitet, wird zuerst eine Schwellung sichtbar, dann eine Fistel mit Ausfluss von Eiter und Blut. Eine suborbitale Schwellung ist das häufigste Anzeichen für einen Zahnabszess und ist auf eine Fraktur des Oberkieferreisszahns zurückzuführen.
Eine Röntgenuntersuchung ist bei jeder nachgewiesenen oder vermuteten Pulpitis zwingend notwendig, um den Zustand der Wurzel und des Zahnhalteapparats, insbesondere der Zahnwurzelspitze zu prüfen. Nur so kann eine diagnostische und prognostische Einschätzung vorgenommen und die geeignete Behandlungsform gewählt werden.
Die Pulpitis wird chirurgisch behandelt. Zwei Alternativen sind in der Veterinärmedizin anerkannt: konservative Behandlung oder Zahnextraktion. Die Wahl hängt von der Schwere der dentalen und parodontalen Läsion, vom Alter des Tiers, dem Zahntyp und der Entscheidung des Besitzers/der Besitzerin ab. Die konservative Behandlung besteht in der totalen oder partiellen Devitalisierung des Zahns durch Wurzelkanalbehandlung. Eine Antibiotikatherapie ohne sofortige oder spätere chirurgische Behandlung ist aus medizinischer Sicht nicht gerechtfertigt.
Eine Antibiotikatherapie lässt sich nur rechtfertigen, wenn eine Zahninfektion von Fieber oder allgemeinen Symptomen begleitet ist. Sie wird bis zur Extraktion des Zahns, der die Infektion verursacht hat, fortgeführt. Der prophylaktische Einsatz von Antibiotika bei partieller Pulpitis lässt sich aus medizinischer Sicht nicht rechtfertigen.
Pulpitis | |||
Zu beachten | Bei Pulpitis lässt sich eine Antibiotherapie nur rechtfertigen, wenn eine Zahninfektion von Fieber oder allgemeinen Symptomen begleitet ist. | ||
Priorisierung/Antibiotika | Dosierung | Behandlungsdauer | Bemerkungen |
First line | |||
Amoxicillin | 10 - 20 mg/kg 2 × tgl. p.o. | 7 Tage Falls nach 5 Tagen keine Besserung eintritt, ist ein Antibiogramm aus einer Probe der nekrotischen Pulpa anzufertigen und die Wahl des Antibiotikums muss angepasst werden. |
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Clindamycin | 11 mg/kg 2 × tgl. p.o. | ||
Metronidazol/Spiramycin | 12 - 22 mg/kg 2 × tgl. p.o. | ||
Second line | |||
Doxycyclin | 10 mg/kg 1 × tgl. p.o. | s. oben | |
Amoxicillin/Clavulansäure | 12,5 - 20 mg/kg 2 × tgl. p.o. | ||
Stark eingeschränkter Einsatz Cefovecin |
Die routinemässige Gabe von langzeitwirksamen kritischen Antibiotika aufgrund der Einfachheit der Verabreichung ist aufgrund des hohen Risikos der Selektion multi-resistenter Keime kontraindiziert. |
Man kann das Risiko einer Zahnfraktur drastisch verringern, indem man den Hundehalter:innen rät, spielen oder beissen auf natürliche Knochen, Holz, Hirschhörnern oder Steinen zu vermeiden. Für Risikohunde gibt es Zahnaufsätze, die das Verletzungsrisiko der Fang- und Schneidezähne verringern können.