Colistin (CL) ist ein basisches Cyclopeptidantibiotikum (Plempel 1969a; Nakajima 1967a), welches erstmals 1950 (Kasiakou 2005a; Elverdam 1981a; Quinn 2005a; Taylor 1962a; Littlewood 2000a) von Koyama (Suzuki 1963a) aus einer Bodenprobe in Japan (O'Neil 2001a) aus Bacillus polymyxa var. colistinus isoliert wurde (EMEA 2002j; Li 2001a; Goodwin 1970a; Li 2005c; McEvoy 1992a; Lagler 2008a; Orwa 2001a). Ab 1959 war CL zum therapeutischen Einsatz erhältlich (Li 2001a; Gunderson 2003a). Der Wirkstoff gehört zur Klasse der Polymyxine (Mestres 1998a; Giamarellos-Bourboulis 2002a; Markou 2003a).
CL besteht aus einem Dekapeptid mit einem Fettsäureschwanz. Das Dekapeptid besteht aus einem Heptapeptidring mit einem Tripeptidschwanz (Lewis 2004a), welcher kovalent (Li 2005c) via einer α-Amidbindung gebunden ist (Katz 1977a; Li 2005c). Der Heptapeptidring besitzt einen hydrophilen sowie einen hydrophoben Bereich und der Tripeptidschwanz ist hydrophil (Bergan 1982a). Die Aminosäurensequenz des CL-Moleküls sind D-Leucin, L-Threonin und L-α-γ-Diaminobuttersäure (Falagas 2005a). Letztere ist mit dem Fettsäurerest verbunden (Storm 1977a). Bei physiologischem pH weist der Wirkstoff, wegen des Vorhandenseins der Aminosäure 2,4-Diaminobuttersäure, eine Nettoladung von +5 auf (Lewis 2004a); sein pKa beträgt ungefähr 10 (Bergan 1982a; Decolin 1997a).
Oda et al. berichteten 1953, dass im Handel erhältliches CL mittels Papierchromatographie in 3 Komponenten getrennt werden konnte. Suzuki et al. haben dann 1961 das im Handel erhältliche CL mittels Gegenstrom-Verteilung fraktioniert. Mit Hilfe dieser Methode wurde CL dann auch in 3 Komponenten geteilt, und zwar CL A, B und C, welche bereits von Oda et al. erwähnt wurden. CL A und B besitzen eine viel stärkere antibiotische Wirkung als CL C, und die Menge an CL C in den Präparaten ist gering bis nicht vorhanden (Suzuki 1963a). Interessant ist, dass CL sich durch eine einzelne Aminosäure vom Polymyxin B unterscheidet; das D-Phenylalanin ist durch L-Leucin ersetzt (Lewis 2004a; Plempel 1969a).
Der Wirkstoff besteht aus einer komplexen Mischung von eng verwandten Polypeptiden (Orwa 2002a). Mindestens 30 Bestandteile wurden isoliert und 13 identifiziert (Orwa 2000a; Orwa 2001a); diese unterscheiden sich in ihrer Aminosäuren- sowie Fettsäurezusammensetzung (Orwa 2001a; Elverdam 1981a). 2 Hauptkomponenten (Thomas 1980b) sind CL A (Polymyxin E1) und CL B (Polymyxin E2) (Suzuki 1965a; Orwa 2001a; Li 2006c; Suzuki 1964a; Orwa 2001a), welche die gleichen Aminosäuren (Landman 2008a; Li 2003d), jedoch eine unterschiedliche Fettsäure (6-Methyloktansäure bzw. 6-Methylheptansäure) als Verbindung zur L-α-γ-Diaminobuttersäure besitzen (Li 2001a; Storm 1977a; Decolin 1997a). Ein geringerer Anteil besteht aus Polymyxin E3 und E4 (Thomas 1980b), Norvalin-Polymyxin E1, Valin-Polymyxin E1 (Elverdam 1981a), Valin-Polymyxin E2, Isoleucin-Polymyxin E1 (Ikai 1998a), Polymyxin E7 und Isoleucin-Polymyxin E8 (Orwa 2001a). Der Anteil an CL A und CL B von im Handel erhältlichen Präparaten unterscheidet sich je nach pharmazeutischem Hersteller und Charge (Decolin 1997a; Orwa 2001a).
Das Isolat C27 von Paenibacillus amylolyticus ist in der Lage, CL A sowie CL B zu bilden und stellt somit eine zusätzliche Quelle für die Produktion dieser Antibiotika dar (Suzuki 1965a; Suzuki 1963a).
Die kationische Eigenschaft und der Fettsäureschwanz verleihen dem CL seinen amphipathischen Charakter (Lewis 2004a; Storm 1977a). Deshalb kann sich der Wirkstoff sowohl in polaren (wie Wasser), als auch in nicht-polaren Umgebungen (wie prokaryotische sowie eukaryotische Lipidmembranen) gut verteilen (Bergan 1982a). Seine hydrophoben Eigenschaften erlauben eine Interaktion mit den beiden polaren Köpfen sowie den Alkylketten der Phospholipide (Mestres 1998a). Das Vorhandensein der kationischen Peptidbindung scheint, mindestens zum Teil, zur Fähigkeit des Moleküls, an gewisse geladene Phospholipide der Membran pathogener Mikroorganismen zu binden, beizutragen. Die Interaktion mit Phospholipiden ist stark von der elektrischen Ladung des Lipids sowie des Ionisationszustandes des Polymyxin-Moleküls abhängig (Mestres 1998a).
In einem Versuch wurde CL teilweise enzymatisch verdaut, sowie die Sensitivität von Escherichia coli gegenüber diesem Derivat untersucht. Deazetyliertes CL, welches das zyklische Peptid und die Tripeptidseitenkette enthält, war 30-mal weniger wirksam als das unverdaute Antibiotikum. Das azetylierte Tripeptid sowie die Fettsäure waren vollständig inaktiv (Nakajima 1967a). Dies deutet darauf hin, dass die Fettsäureseitenkette der Polymyxine für eine vollständige Aktivität benötigt wird (Storm 1977a).
Das Molekulargewicht des CL (Mischung) beträgt 968,3 (Plempel 1969a; Schwartz 1960a). Die Summenformel des CL A lautet C53H100N16O13 (O'Neil 2001a; Bergan 1982a) und sein Molekulargewicht beträgt 1'170 (EDQM 2005a; Goodwin 1970a). Die Summenformel des CL B lautet C52H98N16O13 (O'Neil 2001a; Bergan 1982a; EDQM 2005a) und sein Molekulargewicht beträgt 1'155,43 (O'Neil 2001a; EDQM 2005a). Die Summenformel des CL C (Polymyxin E3) lautet C52H98N16O13 und sein Molekulargewicht beträgt 1'155 (EDQM 2005a).
Die Base ist ein farbloses, kristallines, hygroskopisches Pulver, welches geruchlos ist und einen leicht bitteren Geschmack aufweist (Schwartz 1960a; Sous 1961a; Sous 1961a). Die Salze sind wasserlöslich und linksdrehend (Schwartz 1960a).
Die Deklaration des CL wird aus historischen Gründen in "Internationalen Einheiten" angegeben. Je nach Autor entspricht 1 mg Cl-Base 30'303 IU (Plempel 1969a) oder 30'000 IU (EMEA 2002j; EMEA 2002i).
Colistinmethansulfonat-Natrium (CMS) ist eine inaktive Prodrug (Bergen 2006a) und wird nur in der Humanmedizin (Kroker 1999b) zur parenteralen (EMEA 2002j) sowie zur Aerosoltherapie verwendet (Li 2003b; Li 2004b); dies ist die gebräuchlichste Form (Bergan 1982a). CMS, das Natrium-Salz des Methansulfonsäurederivats von CL (Ninger 1962a; Lagler 2008a), ist ein hygroskopisches (EDQM 2005a; Sweetman 2008a), amorphes, weiss (Ninger 1962a) bis leicht gelbliches Pulver. Dieses geruchlose und hitzestabile Pulver (Goodwin 1970a) besitzt einen bitteren Geschmack. Der Wirkstoff und das Salz (Sous 1961a; Ziv 1981c) sind gut wasserlöslich (EDQM 2005a; Ziv 1981c; Goodwin 1970a; McEvoy 1992a; Sweetman 2008a), aber unlöslich in Alkohol, Aceton sowie organischen Lösungsmitteln (Anonymous 1968d). Die Löslichkeit des Salzes ist geringer als die des Colistinsulfats (Schwartz 1960a; Sous 1961a). Eine 1%ige wässrige Lösung besitzt einen pH-Wert von 6,5 bis 8,5 (EDQM 2005a; Sweetman 2008a).
Die Herstellung erfolgt ausgehend von der CL-Base durch Reaktion der freien γ-Aminogruppen des α-γ-Diaminobuttersäurerestes mit Formaldehyd, gefolgt von Natrium-Bisulfit (Li 2005c; Li 2003b; Barnett 1964a; Landman 2008a; Falagas 2008a; Barnett 1964a; EDQM 2005a; Sweetman 2008a; Goodwin 1970a; Schwartz 1960a). Der Grad der Sulfomethylierung ist variabel (Li 2003b; Li 2005c) und führt je nach Präparat zu unterschiedlichen pharmakokinetischen Eigenschaften (Bergan 1982a). Barnett et al. vermuten, dass die Sulfomethylierung von mehr als einer freien Aminogruppe in jedem Molekül zu einem Verlust der antibiotischen Wirkung führt (Barnett 1964a). CMS wird in-vivo sowie in-vitro in wässrigen Lösungen hydrolysiert und somit wird die antibiotisch wirksame Verbindung freigesetzt (Li 2003b; Sweetman 2008a). Wässrige Lösungen sind in den üblichen Konzentrationen praktisch geruch- und geschmackslos (Ninger 1962a).
Das Molekulargewicht beträgt 1'749,84 und die Summenformel lautet C53H105N16Na5O28S5 (O'Neil 2001a).
1 mg Colistinmethansulfonat entsprechen 12'500 IU (Plempel 1969a; Li 2006c).
In der Tiermedizin wird das Sulfatsalz üblicherweise in Präparaten zur oralen Verabreichung (EMEA 2002j), in der Humanmedizin zur topischen Anwendung verwendet (Dowling 2006b; Li 2004b; Li 2006c). Colistinsulfat (CS) besteht aus einer Mischung von Polypeptidsulfaten, welche aus bestimmten Stämmen von Bacillus var. colistinus gewonnen oder durch andere Verfahren hergestellt werden (EDQM 2002a; EDQM 2005a). CS ist ein hygroskopisches (EDQM 2005a), weiss bis leicht gelbliches, feines kristallines Pulver mit einem bitteren Geschmack (Anonymous 1968d; McEvoy 1992a). In Wasser (Anonymous 1968d; EDQM 2002a; Sous 1961a; EDQM 2005a; Sweetman 2008a; Ziv 1981c), Methanol (Sweetman 2008a) und Glyzerin ist der Wirkstoff gut löslich. Seine Löslichkeit ist in 70%igem Alkohol sowie in Propylenglykol reduziert (Ninger 1962a). In Ethanol ist der Wirkstoff schwer löslich und in Aceton (EDQM 2005a) sowie Ether praktisch unlöslich (EDQM 2002a; Sweetman 2008a; Ziv 1981c). In den gebräuchlichen Konzentrationen sind wässrige Lösungen von CS geruch- (Sweetman 2008a) sowie geschmacklos (Ninger 1962a). Eine 1%ige wässrige Lösung besitzt einen pH-Wert von 4,0 bis 6,0 (EDQM 2005a). Bei ungefähr 21°C schmilzt das Salz und zersetzt sich (Ninger 1962a).
1 mg CS entsprechen 18'181 IU (Plempel 1969a).
Colistin (CL) weist ein Wirkungsoptimum bei pH 6,2 bis 7,5 auf. Ab einem pH von 8 nimmt die Wirkung ab (Plempel 1969a). Die Base präzipitiert in einer wässrigen Lösung bei einem pH über 7,5 (Sweetman 2008a). In einer Studie war CL in Wasser bei 4°C stabil für bis zu 60 Tage, aber bei 37°C nur für 120 Stunden. Eine Degradation konnte beobachtet werden, als CL in einem isotonischen Phosphatpuffer (0,067 M, pH 7,4) gelagert wurde sowie in menschlichem Plasma bei 37°C (Li 2003b). CL ist resistent gegenüber Pepsin (im pH-Bereich von 2,2 - 4,8), Trypsin (pH 4,4 - 7,5), Pankreatin (pH 4,4 - 7,5) und Erepsin (pH 6,1 - 7,8), wird aber durch Lipase inaktiviert (Bergan 1982a). Bei einem pH von 2,0 wird der Wirkstoff innerhalb von 24 Stunden kaum abgebaut; hingegen wird CL bei einem pH von 9,0 im gleichen Zeitraum zu etwa 50% inaktiviert (Sous 1961a).
Die Präparate sollten trocken, lichtgeschützt und bei Temperaturen unter 25°C gelagert werden. Nach dem Öffnen müssen die Packungen wieder gut verschlossen und vor Feuchtigkeit geschützt werden (Demuth 2008a). Lösungen, welche CL mit isotonischer Kochsalzlösung als Lösungsmittel enthalten, sind bei Raumtemperatur bis zu 4 Stunden stabil und können im Kühlschrank bis 24 Stunden aufbewahrt werden (Morant 2005a). Futter, welches CL enthält, sollte wegen eines möglichen Aktivitätsverlustes des Wirkstoffes nicht pelletiert werden. Mediziertes Trinkwasser sollte täglich frisch zubereitet werden (Demuth 2008a).
Steriles Colistinmethansulfonat-Natrium (CMS) in Pulverform sollte bei 15 - 30°C gelagert werden (McEvoy 1992a). CMS-Lösungen sind bei einem pH von 2 - 6 relativ stabil; ab pH 6 ist die Stabilität reduziert (Schwartz 1960a). Der Wirkstoff wird in-vivo (Archimbault 1980a) sowie in Lösungen mit einem pH über 9 graduell hydrolysiert (Ninger 1962a; Goodwin 1970a) und bildet eine komplexe Mischung aus bis zu 32 verschiedenen (teilweise sulfomethylierten) Derivaten, inklusive CL (Base) (Li 2005c). CMS ist hitzestabil (Goodwin 1970a; Schwartz 1960a) und im trockenen Zustand für längere Zeit sehr stabil (Ninger 1962a; Orwa 2002a; O'Neil 2001a); bei Raumtemperatur ungefähr 18 Monate. In wässrigen Lösungen variiert die Stabilität je nach Präparat (Goodwin 1970a).
Der Wirkstoff sollte lichtgeschützt (EDQM 2005a) sowie in dicht geschlossenen Behältern aufbewahrt werden (Sweetman 2008a). Colistinsulfat (CS) ist ein hitzestabiles Salz (Goodwin 1970a; Schwartz 1960a), welches bei Temperaturen zwischen 15 - 30°C aufbewahrt werden sollte (McEvoy 1992a). Wässrige Lösungen von CS weisen einen pH von 6,0 bis 6,1 auf (Schwartz 1960a; Sous 1961a) und sind bei saurem pH von 2 - 6 relativ stabil (Orwa 2002a); bei höherem pH kommt es zur langsamen Inaktivierung. Bei pH 9 findet nach 24 Stunden eine 50%ige Inaktivierung statt (Schwartz 1960a; Sous 1961a), welche nach 7 Tagen bei 37°C vollständig ist (Anonymous 1968d). Bei pH 2 erfolgt innerhalb von 24 Stunden eine 10%ige Inaktivierung (Schwartz 1960a; Sous 1961a). Die Base präzipitiert in wässrigen Lösungen ab einem pH von 7,5 (Ninger 1962a; Goodwin 1970a). Lösungen von 10 mg/ml sind bei 4°C über 10 bis 14 Tage stabil (Schwartz 1960a; Sous 1961a). In wässrigen Lösungen variiert zudem die Stabilität je nach Präparat (Goodwin 1970a). Im trockenen Zustand hingegen ist das Salz sehr stabil (Orwa 2002a; Ninger 1962a), bei Raumtemperatur ungefähr 12 (Ninger 1962a) bis 18 Monate (Goodwin 1970a).
Colistin ist inkompatibel mit Injektionslösungen die Ampicillin, Cephalotin, Vitamin B und C, Glukokortikoide (Kroker 2003a), Erythromycin sowie Kanamycin enthalten (Kroker 1999b; Kroker 2003d).
Colistinmethansulfonat-Natrium ist physikalisch und chemisch kompatibel mit folgenden i.v.-Lösungen: 0,225%iges, 0,45%iges oder 0,9%iges Natriumchlorid, 5%ige Dextrose, Ringerlaktat sowie 10%iger Invertzucker (McEvoy 1992a).