2. Quellen
Arsen ist ubiquitär verbreitet und kleine Mengen dieses Elementes sind im Boden wie auch in Nahrungs- und Futtermitteln oder Trinkwasser zu finden.
In der Vergangenheit wurden arsenhaltige Substanzen breitgefächert und sehr freizügig angewendet. So wurden Arsenverbindungen nicht nur als Arzneimittel, sondern auch als Rodentizide, Insektizide, Akarizide, Herbizide, Fungizide, Holzschutzmittel, Wachstums- und Leistungsförderer, sowie als Roborantien eingesetzt.
Heute noch werden Arsenverbindungen als Antiprotozoika beim Hund oder für die Warzenbehandlung beim Pferd genutzt.
Chronische Arsenvergiftungen wären auch im Zusammenhang mit industriellen Emissionen (arsenhaltigem Flugstaub) denkbar.
3. Kinetik
Wasserlösliche Arsenverbindungen (zum Beispiel Arsenik oder Natriumarsenit) werden oral, inhalativ und über die Haut sehr gut resorbiert. Das Verteilungsvolumen von Arsenverbindungen ist relativ gross: bei nur geringfügiger Speicherung in Leber und Niere wird ein Teil des aufgenommenen Arsen ans Keratin gebunden. In Haut, Horn und Haaren eingelagertes Arsen kann deshalb noch mehrere Wochen nach einer Exposition nachgewiesen werden. Im Organismus werden die fünfwertigen Verbindungen zu toxischeren dreiwertigen Formen reduziert. Weitere metabolische Umwandlungen erfolgen durch Methylierung.
Die Eliminationshalbwertzeit liegt anfänglich bei 1-2 Stunden. In einer zweiten und dritten Eliminationsphase ist die Halbwertszeit auf 30 bis 200 Stunden verlängert. Bis die Gesamtmenge den Organismus verlassen hat, dauert es deshalb mehrere Wochen. Die Ausscheidung erfolgt über Harn, Kot, Schweissdrüsen und Milch.
Arsen lässt sich bereits 5-6 Stunden nach der oralen Aufnahme im Urin nachweisen.
4. Toxisches Prinzip
Die toxischen Wirkungen der Arsenverbindungen sind sehr vielfältig. Die Pathophysiologie des Arsens scheint durch die hohe Affinität für Sulfhydrylgruppen von Proteinen bestimmt zu sein, die zur Denaturierung der Proteine führt. Am Eintrittsort in den Körper entstehen zunächst schwere Haut- oder Schleimhautverätzungen. Neben dem Magen-Darm-Trakt und - bei Inhalation - dem Respirationstrakt stellen Blutkapillaren, ZNS und Haut die wichtigsten Angriffspunkte der Arsenwirkung dar.
Arsenwasserstoff führt nach Inhalation zu einer massiven Hämolyse. Ferner werden Arsenverbindungen zu den karzinogenen Substanzen gezählt.
5. Toxizität bei Labortieren
Akute orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):
| Maus | Ratte | Kaninchen | Huhn |
Arsanilsäure (C6H8AsNO3) | | > 1'000 | | |
Arsenige Säure (H3AsO4) | 57 | 48 | | |
Arsenik (Arsentrioxid, As2O3) | 25-45 | 15.1 | 8 | 50-300 |
Arsenoxid | | 763 | | |
Arsenpentoxid (As2O5) | 55 | 110 | | |
Arsentrisulfid (As2S3) | 185 | 255 | | |
Bleiarsenat (PbHAsO4) | | 100-825 | 125 | 450 |
Cacodylat (CH5AsNa2O3) | | 821-928 | | |
Calciumarsenat (Ca3As2O8) | | 20-298 | 50 | |
Carbarson (C7H9AsN2O4) | | 510 | | |
Dimethylarsinsäure (C7H9AsO2) | 650 | | | |
Kaliumarsenit (As2HKO4) | | 14 | | |
Kupferarsenitacetat (C2H3As3Cu2O8) | | 22-100 | 13 | |
Magnesiumarsenat (MgxAsH3O4) | 315 | | | |
Methanarsonsäure (CH5AsO3) | 970 | | | |
Natriumcacodylat (C2H6AsNaO2) | 4'000 | 2'600 | | |
Natriumarsenit (NaAsO2) | | 41 | | |
Na-Methylarsinsäure (CH5AsNaO2) | | 1'059-1'105 | | |
Na-Dimethylarsinsäure (C2H6AsNaO2) | 4'000 | 2'600 | | |
Phenarsazinoxid | | 25 | | |
Phenoxyarsinoxid | | 7-12 | | |
Roxarsone (C6H6AsNO6) | 70 | 155 | | 110-123 |
Gemäss Untersuchungen an Mäusen ist Arsenwasserstoff ab einer Konzentration von 3 ppm in der Luft toxisch, und ab 25 ppm innerhalb von Minuten tödlich (maximale Arbeitskonzentration: 0.05 ppm oder 0.16 mg/m
3). Arsentrichlorid ist ab einer Konzentration von 338 ppm in der Luft akut tödlich.
6. Umwelttoxikologie
Ein mögliches Gesundheitsrisiko besteht beim Konsum von Trinkwasser. In der Schweiz wurde im Tessin eine und im Graubünden drei Quellen gefunden, die den ehemaligen schweizerischen Arsen-Grenzwert von 50 ppb überschritten. Alle vier Quellen wurden geschlossen. In Graubünden befinden sich 21 weitere Quellen mit einer Arsenkonzentration zwischen 10-50 ppb, im Wallis neun Quellen; der WHO- sowie der schweizerische Grenzwert (seit dem 1.1.2014) ist bei 10 ppb (μg/l). Bis jetzt gibt es keine Hinweise darauf, dass gesunde, gut genährte Menschen durch diese relativ geringen Werte ernsthaft geschädigt werden. Anders sieht es in Bangladesch und Westindien aus, wo im Trinkwasser Arsenwerte gemessen wurden, die hundert mal höher liegen als erlaubt und die Menschen zum Teil unterernährt sind.
II. Spezielle Toxikologie - Kleintier
1. Toxizität
1.1 | Minimale toxische Dosis |
Die kleinste toxische Dosis der arsenigen Säure (oral) wird mit 10 mg/kg beim Hund angegeben.
Die minimal letale Dosis (oral) von Arsenik beträgt bei Hunden 50-150 mg/kg Körpergewicht.
Die minimal letale Dosis (oral) von Natriumarsenit bei der Katze: 5 mg/kg.
Die akute orale LD
50 von Calciumarsenat beträgt bei Hunden 38 mg/kg Körpergewicht.
2. Latenz
Die ersten Symptome können bereits 30 Minuten nach der oralen Aufnahme von Arsenik auftreten. Ein chronischer Vergiftungsverlauf mit erheblich längerer Latenzzeit ist ebenfalls möglich.
3. Symptome
3.1 | Allgemeinzustand, Verhalten |
| Depression, Schwäche, Ataxie, Schock, Durst und Polydipsie im Anfangsstadium der Vergiftung |
|
3.2 | Nervensystem |
| Tremor, Krämpfe, Paralyse der Hintergliedmassen |
|
3.3 | Oberer Gastrointestinaltrakt |
| Hypersalivation, Erbrechen |
|
3.4 | Unterer Gastrointestinaltrakt |
| Kolik, wässrige, reiswasserartige oder blutige Durchfälle. Die Durchfälle enthalten oft in grossem Umfang abgelöste Darmschleimhaut |
|
3.5 | Respirationstrakt |
| Dyspnoe, Polypnoe, Tod durch Atemlähmung |
|
3.6 | Herz, Kreislauf |
| Zyanose, schwacher Puls, Kreislaufzusammenbruch, hochgradige Dehydratation, Schock, Tachykardie |
|
3.7 | Bewegungsapparat |
| Keine Symptome |
|
3.8 | Augen, Augenlider |
| Konjunktivitis, bei Vergiftungen mit gasförmigen Arsenverbindungen |
|
3.9 | Harntrakt |
| Hämaturie, Oligurie, bei subakuten Vergiftungen oft anfangs noch Polyurie; nach Inhalationsvergiftung mit Arsenwasserstoff: Hämoglobinurie |
|
3.10 | Fell, Haut, Schleimhäute |
| Irritationen, Reizungen, Nekrosen bei Kontakt arsenhaltiger Substanzen mit der Haut oder Schleimhaut, dünne und brüchige Haut bei chronischen Vergiftungen (selten); hämolytischer Ikterus nach Inhalation von Arsenwasserstoff |
|
3.11 | Blut, Blutbildung |
| Hämolyse (vor allem durch Arsenwasserstoff) |
|
3.12 | Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation |
| Keine Symptome |
4. Sektionsbefunde
Neben einer hämorrhagischen Gastroenteritis werden Erosionen oder Ulcera der Schleimhaut des Verdauungstraktes sowie Perforationen der Darmwand beobachtet. Weitere Befunde: Petechiale Blutungen vor allem am Herzmuskel; Knochenmark-, Leber- und Nierendegeneration; Hyperkeratose; Polyneuritis; Pneumonie (entsteht oftmals nach inhalativer Aufnahme).
5. Weiterführende Diagnostik
- | Arsen kann in Magen- und Darminhalt, sowie in Milch, Urin und Kot (> 2 ppm) nachgewiesen werden. Das beste Material für eine Laboruntersuchung ist eine grosse Urinprobe. |
- | Haare (5-10 g) sind der beste Indikator für eine vergangene Arsenexposition. Arsen ist nachweisbar, bis die Haare ausfallen. War ein Tier nicht exponiert, sollte der Arsengehalt unter 0.5 ppm betragen. Haare gesunder Tiere können jedoch einen Arsengehalt von 5-10 ppm enthalten. |
- | Der Nachweis von Arsen in den Organen (Leber, Niere > 10 ppm, bezogen auf das Feuchtgewicht) ist wegen der raschen initialen Ausscheidung weniger geeignet. |
Die Bestimmung von Arsen erfolgt über Atomabsorptionsspektrometrie.
- | Arsen stellt sich röntgendicht im Magen und Darm dar. |
6. Differentialdiagnosen
- | Gastroenteritis anderer Ursache |
- | Parvovirose |
- | Lebensmittelvergiftung |
7. Therapie
- | Kreislauf stabilisieren, gegebenenfalls Bluttransfusion; in der Literatur wird ein Zusatz von Vitaminen der B-Gruppe in die Infusionslösung empfohlen |
- | Atmung stabilisieren |
- | Krämpfe kontrollieren |
7.2 | Dekontamination und Elimination |
- | Reinigung von Fell und Haut bei dermaler Exposition |
- | Provozierte Emesis innerhalb 4 Stunden nach Aufnahme; vorsichtige - Arsen verursacht im Magen-Darm-Trakt signifikante Läsionen - Magenspülung mit warmem Wasser oder 1%iger Natriumbicarbonat-Lösung. |
7.3 | Forcierte renale Elimination |
Es stehen verschiedene Chelatbildner zur Verfügung:
- | Dimercaprol (BAL = British Anti Lewisit): 3-4 mg/kg 3mal täglich i.m. Die Behandlung muss bis zur vollständigen Genesung des Patienten, möglicherweise wochenlang fortgeführt werden. Bei schweren Vergiftungen kann die Einzeldosis am ersten Tag der Behandlung auf 6-7 mg/kg erhöht werden. Nebenwirkungen: Erbrechen, Tremor, Krämpfe |
- | Succimer (DMSA = meso-Dimercaptosuccinylsäure): 10 mg/kg 3mal täglich p.o. über 10 Tage. DMSA ist besser verträglich als BAL. |
- | Acetylcystein: |
Hund: | Zuerst 280 mg/kg p.o., dann weiter mit 140 mg/kg 6mal täglich p.o. über 3 Tage. |
Katze: | Zuerst 140-240 mg/kg p.o., dann weiter mit 70 mg/kg 4mal täglich p.o. über 3 Tage. |
Acetylcystein reduziert die Toxizität von Arsen und kann im Fall einer hochakuten Vergiftung auch i.v. appliziert werden.
7.5 | Weitere symptomatische Massnahmen |
- | Behandlung der Azidose: Laktat- oder Bicarbonatinfusion. |
- | Antiemetika: Sofern das Erbrechen auch nach längerer Zeit anhält, Metoclopramid oder Domperidon. |
- | Bei Perforation des Magen-Darm-Trakts: Chirurgische Massnahmen. Sehr wichtig ist dabei eine gründliche Spülung des Peritonealraums mit steriler Kochsalzlösung. |
- | Antibiotische Versorgung: Breitspektrumantibiotika. |
8. Fallbeispiele
8.1 | Experiment mit Beagles |
| Natriumarsenit wurde einer Gruppe von Beagles (weiblich 7-8 Monate) ins Futter gemischt. Die Dosis von Natriumarsenit war 0, 1, 2, 4 mg/kg Körpergewicht oder 0, 33, 67, 133 µg/g Futter. Nach 59 Tagen wurde die Dosis verdoppelt. Der Versuch wurde nach insgesamt 183 Tagen abgebrochen. Arsen konnte im Harn (5.98-33.81 ppm, 11.12-37.40 ppm, 13.44-18.24 ppm) und in den Haaren (0.22-10.6 ppm, 0.29-33.5 ppm und 0.11-17.90 ppm) nachgewiesen werden (Neiger & Osweiler, 1992). |
|
8.2 | Ein Pointerrüde (3 Jahre, 21.3 kg) wird mit Abmagerung, Apathie, "Nilpferdkopf", Ulcera an den Übergängen zwischen Hau und Schleimhäuten sowie Nekrosen an den Ohrrändern vorgestellt. |
| Labor: Leberenzyme im Serum erhöht, Biopsien der Haut zeigen das Bild einer Vasculitis, Hperkeratose und Hypertrophie der Talgdrüsen. Der Arsengehalt im Urin beträgt 15 ppm, im Blut 0.22 ppm und im Kot 40 ppm. Die Arsenkonzentration im Fell war für das Messverfahren zu hoch. |
| Massnahmen: Ein Farbeimer mit arsenhaltiger Farbe, der durch das Dach in die Hundehütte tropfte, wurde entfernt. Zusätzlich wurde der Hund gewaschen. |
| Verlauf: nach 4 Wochen sind die Haurveränderungen fast verschwunden. Im Blut, Urin und Kot ist kein Arsen mehr nachweisbar. Die Konzentration in den Haaren liegt bei 1.5 ppm |
| (Evinger & Blakemore, 1984). |
9. Literatur
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Evinger JV & Blakemore JC (1984) Dermatitis in a dog associated with exposure to an arsenic compound. J Am Vet Med Assoc 184, 1281-1282
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Frimmer M (1986) Schwermetalle und Edelmetalle. In: Pharmakologie und Toxikologie (M Frimmer, ed) Schattauer-Verlag, Stuttgart, pp 317-319
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Neiger RD & Osweiler GD (1989) Effect of subacute low level dietary sodium arsenite on dogs. Fund Appl Toxicol 13, 439-451
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