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Calciumkanalblocker

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Calciumkanalblocker (CCBs, Calciumantagonisten) sind Substanzen, die selektiv den spannungsabhängigen intrazellulären Membrantransport von Calcium durch den L-Typ-Calciumkanal hemmen. Die L-Typ-Calciumkanäle kommen im Herzen, in der glatten Gefässmuskulatur, in der Skelettmuskulatur, Bauchspeicheldrüse, Lunge und in anderen Geweben vor. Die Calciumkanäle vom T-Typ (Schrittmacherfunktion des Sinus- und AV-Knotens) und vom N-Typ (in den neuronalen Synapsen im ZNS und PNS) werden von den CCBs nicht blockiert. Die Calciumkanalblocker lassen sich anhand ihrer chemischen Struktur in 3 Klassen einteilen: Phenylalkylamine, Benzothiazepine und Dihydropyridine. Diese unterscheiden sich in ihrer Affinität für das kardiale und vaskuläre Gewebe.
 
Relative Auswirkungen der drei Calciumkanalblocker-Klassen auf die Automatie, die Erregungsleitung, die Kontraktilität und den Gefässtonus des Herzens
KlasseArzneimittelHerz­automatieErregungs­leitungKontrak­tilitätGefäss­tonus
PhenylalkylamineVerapamil++++++++++++
BenzothiazepineDiltiazem++++++++++
DihydropyridineAmlodipin
Nifedipin
Nisoldipin
Nimodipin
Nicardipin
Felodipin
Isradipin
Clevidipin
+0+++++
Pluszeichen: Hemmung, Null: keine Reaktion
 

2. Quellen

Calciumkanalblocker werden in der Human- und Veterinärmedizin häufig zur Behandlung von systemischem Bluthochdruck, Herzerkrankungen (einschliesslich hypertropher Kardiomyopathie und Tachyarrhythmien) sowie potenziell akuter Nierenschädigung eingesetzt.
 

3. Kinetik

Die Pharmakokinetik der verschiedenen Calciumkanalblocker variiert je nach CBB-Klasse, der beteiligten Spezies und der Formulierung (IR = sofortige Freisetzung, ER = verlängerte Freisetzung) des Medikaments.
 
Calcium­kanal­blockerResorp­tionOrale Bio­verfüg­barkeitZeit­punkt des maxi­malen Blut­spiegelsPlasma­protein­bindungLipid­lös­lich­keitMeta­bolis­musElimi­nationPlasma­halbwerts­zeit
Verapamil90%10-23%,
extensiver First-Pass-Effekt
IR: 1-2 h,
ER: 7-11 h
90%,
plazenta- und milchgängig
log P 3.8hepatisch (Hund)primär biliär (Hund)Hund: 1.8-3.8 h
DiltiazemschnellHund: 17-24%
extensiver First-Pass-Effekt,
Katze: ER: 36%, IR: 71%
IR: 0.5-0.75 h,
ER: 5.7 h
70-75% (Hund)log P 3.1hepatisch (Hund)primär biliär, entero­hepatische Re­zir­kula­tion (Hund)Hund: 2-4 h,
Katze: 1.8-6.8 h
Amlodipin 90%6-12 hhochlog P 3.0hepatischprimär renal30-60 h
 

4. Toxisches Prinzip

-Klinische Symptome sind auch bei therapeutischen Dosen möglich.
-Die Calciumkanalblocker bewirken durch die Hemmmung der langsamen spannungsempfindlichen Calciumkanäle vom L-Typ eine Verringerung der Erregungsleitung im AV-Knoten; eine direkte dämpfende Wirkung auf den Sinusknoten; eine reduzierte Erregungs-Kontraktions-Kopplung des Herzmuskels sowie eine verminderte kardiale Inotropie; eine verminderte Calcium-induzierte Calciumfreisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum, was zu einem reduziertem Gefässtonus und einer Vasodilatation führt.
-Calciumkanalblocker reduzieren die Insulinfreisetzung aus den Betazellen des Pankreas und verringern das mitochondriale Calcium, was zu einer Hyperglykämie und Laktatakkumulation führt.
-Aufgrund der selektiven Dilatation der afferenten Gefässe im Kapillarnetz, was zu einem erhöhten transkapillaren Druck führt, kann sich ein Lungenödem entwickeln. Eine arzneimittelbedingte Veränderung der pulmonalen Kapillarpermeabilität an der Alveolarmembran kann zum Ödem beitragen.
 

5. Toxizität bei Labortieren

Die akute orale LD50 ist wie folgt (in mg/kg Körpergewicht):
 MausRatte
Verapamil163150
Diltiazem415-740560-810
Amlodipin37 
Nifedipin2021022
Felodipin 1050
 

II. Spezielle Toxikologie - Kleintier

1. Toxizität

Klinische Symptome sind auch bei therapeutischen Dosen möglich, v.a. bei Tieren mit einer Herzerkrankung.
-Diltiazem: LD50 Hund oral: 50 mg/kg Körpergewicht; LD Affen: 360 mg/kg Körpergewicht.
 

2. Latenz

Klinische Symptome treten bei IR-Präparaten innert 12 Stunden auf, bei ER-Präparaten und Amlodipin innert 24 Stunden und können 2-4 Tage andauern.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Apathie, Lethargie
  
3.2Nervensystem
Tremor, Krampfanfälle; Schwäche
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Vomitus, Ileus
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Keine Symptome
  
3.5Respirationstrakt
Dyspnoe, Lungenödem
  
3.6Herz, Kreislauf
Hypotonie, Tachykardie, Bradykardie, AV-Block 1., 2. oder 3. Grades
  
3.7Bewegungsapparat
Keine Symptome
  
3.8Augen, Augenlider
Keine Symptome
  
3.9Harntrakt
Akute Nierenschäden wegen Hypoperfusion
  
3.10Haut, Schleimhäute
Keine Symptome
  
3.11Blut, Blutbildung
Hyperglykämie, Hypoinsulinämie, Hyponatriämie, Hypokaliämie; Thrombozytenaggregationshemmung (selten)
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Keine Symptome
 

4. Sektionsbefunde

Ödeme, Pleuraerguss.
 

5. Weiterführende Untersuchungen

-Blutchemie: Hypokaliämie, Hyponatriämie (wegen CCB-induzierter Natriurese), Hyperglykämie (wegen unterdrückter Insulinfreisetzung aus den Betazellen des Pankreas), erhöhte Harnstoff-Stickstoff (BUN)- und Kreatinin-Werte; das ionisierte und totale Calcium dürfte normal bleiben.
-Blutgasanalyse: Hyperlaktatämie, metabolische Azidose.
-Blutdruck: Hypotonie.
-EKG: Sinusbradykardie, AV-Block, AV-Dissoziation, junktionale Ersatzschläge, idioventrikuläre Rhythmen oder Asystolie.
-Röntgenbilder (bei respiratorischen Symptomen): Lungenödem.
-Serum-Wirkstoffkonzentrationen der Calciumkanalblocker: klinisch nicht von Nutzen.
 

6. Differentialdiagnose

-Intoxikation mit α2-Agonisten, β-Antagonisten, Herzglykosid-haltigen Pflanzen, Digoxin, Antiarrhythmika vom Typ la (Procainamid, Chinidin).
-Herzerkrankungen: Sick-Sinus-Syndrom, AV-Block.
-Vorhofstillstand infolge Hyperkalämie.
 

7. Therapie

7.1Notfallmassnahmen
-Kreislauf stabilisieren
-Atmung stabilisieren
-Krämpfe kontrollieren
 
7.2Dekontamination und Elimination
-Provozierte Emesis: innerhalb von 2 Stunden nach Einnahme bei asymptomatischen Patienten.
-Magenspülung: bei der Einnahme grosser Mengen, innerhalb von 2 Stunden nach Einnahme.
-Sofern guter Schluckreflex: Verabreichung von Aktivkohle mit einem Laxans, z.B. Carbodote, Trinklösung (24 g Carbo activatus/100 ml) oder Carbovit® (15 g Carbo activatus/100 ml): bei Einnahme von Diltiazem oder Verapamil: innerhalb von 4 Stunden; bei Einnahme von Amlodipin: innerhalb von 12 Stunden nach Einnahme; bei grossen Mengen und ER-Formulierungen alle 4-6 Stunden wiederholen.
 
7.3Weitere symptomatische Massnahmen
-Intravenöse Flüssigkeitstherapie: ausgewogene Elektrolytlösung, je nach Bedarf, um die Hydratation aufrechtzuerhalten und die kardiovaskuläre Funktion und Perfusion zu unterstützen. Bei Hypotonie allenfalls Flüssigkeitsbolus von 20-30 ml/kg Körpergewicht bei Hunden oder 10-15 ml/kg Körpergewicht bei Katzen. Cave: Flüssigkeitsüberladung wegen Beeinträchtigung der Herzfunktion und Gefahr eines Lungenödems vermeiden!
-Engmaschige Blutdrucküberwachung auf Hypotonie: während 24 Stunden bei Einnahme von Amlodipin oder ER-Formulierungen; während 12 Stunden nach Einnahme von IR-Formulierungen.
-Kontinuierliche EKG-Überwachung zur Beurteilung von Überleitungsanomalien.
-Vorübergehende transvenöse Stimulation zur Erhöhung der Herzfrequenz und des Herzzeitvolumens, wenn andere Therapien versagen.
Calcium:
-1. Wahl bei symptomatischen Tieren: erhöht das verfügbare Calcium für den intrazellulären Calciumeinstrom, der zur Aufrechterhaltung der Funktion der glatten Gefässmuskulatur und der Herzkontraktilität erforderlich ist.
-Calciumgluconat 10%: 0.5-1.5 ml/kg Körpergewicht i.v., als langsamer Bolus über 5 Minuten oder als konstante Infusion mit 0.05 ml/kg Körpergewicht/Stunde, je nach Bedarf titrieren; mit dem EKG überwachen: das Calciumgluconat absetzen bei Verschlechterung der Bradykardie oder des AV-Blocks.
-Calciumchlorid 10%: 0.1-0.5 ml/kg Körpergewicht langsam und streng i.v., Gewebeschäden infolge der Extravasation von Calciumchlorid können erheblich sein!, daher ist Calciumgluconat vorzuziehen, wenn kein zentraler Zugang gelegt werden kann.
Hochdosierte Insulintherapie (HDI) / Glucose-Infusion
-Hyperinsulinämie-Euglykämie-Therapie (1. Wahl bei Menschen): der genaue Wirkmechanismus ist nicht bekannt, vermutlich wird die kardiale Inotropie und die Perfusion durch die Erhöhung des Herzzeitvolumens verbessert, indem die Aufnahme und Verwertung von Kohlenhydraten als Energiequelle in den Herzmuskelzellen gefördert und die intrazelluläre Calciumkonzentration in den Herzmuskelzellen erhöht wird, was die Herzkontraktilität und das Herzzeitvolumen steigert.
-Zuerst die Blutglukose-Serumkonzentration messen: 0.5 ml/kg Körpergewicht Glucose 50% i.v. verabreichen, wenn der Blutzucker < 100 mg/dl bei Hunden oder bei Katzen bei < 200 mg/dL bei Katzen liegt.
-Normalinsulin: 1 i.E. (internationalen Einheit)/kg Körpergewicht i.v. als Bolus, gefolgt von 1 i.E./kg Körpergewicht/Stunde i.v. in einer konstanten Infusion. Die Infusion kann alle 30 Minuten um 0.5-1 i.E./kg Körpergewicht/Stunde bis zu einem Maximum von 10 i.E./kg Körpergewicht/Stunde erhöht werden. Dies ist die 10-fache Dosis, die bei der Behandlung der diabetischen Ketoazidose verwendet wird!
-Verabreichung von Glucose (5-25%) zur Aufrechterhaltung der Euglykämie: normalerweise werden 2 g Glucose für jede verabreichte internationale Einheit Insulin benötigt; wird ein Gluose-Konzentrat (< 7.5%) verwendet, sollte es wegen der Hyperosmolarität über eine zentrale Venenkatheter verabreicht werden.
Beispiel: Bei einem 10 kg schweren Hund wird mit 1 i.E./kg Körpergewicht/Stunde Insulin begonnen, indem 25 i.E./kg Körpergewicht Normalinsulin in einen 250 ml Beutel mit 0.9%iger Kochsalzlösung gegeben und bei 10 ml/Stunde laufen gelassen wird. Der Patient erhält 10 i.E./Stunde Insulin, so dass in dieser Stunde 20 g Glucose verabreicht werden muss (z.B. 80 ml/Stunde einer 25 %igen Glucoselösung).
-Überwachung des Blutzuckerspiegels alle 10 Minuten, während die Insulindosis titriert wird, dann, sobald die Infusionsdosis stabil ist, alle 30-60 Minuten.
-Stündliche Überwachung des Serumkalium-Spiegels und Substitution, wenn das Kalium unter 3 mmol/l fällt.
-Wenn die Symptome der Calciumkanalblocker-Vergiftung abgeklungen sind, Insulin um 1-2 i.E./kg Körpergewicht/Stunde reduzieren. Die Glucose-Verabreichung muss i.d.R. noch bis zu 24 Stunden nach Absetzen der Insulininfusion weitergeführt werden.
Intravenöse Lipidinfusion (ILE):
-Es wird angenommen, dass die Emulsion als Lipid-Shuttle fungiert, um das CCB zu sequestrieren und an die Orte, wo es metabolisiert werden kann, zu transportieren.
-Erhöht die Verfügbarkeit von freien Fettsäuren als Energiesubstrat für das Myokard, aktiviert Calciumkanäle in den Myozyten, um den Calciumeinstrom zu steigern, und erhöht das Stickstoffmonoxid und die β-Ketosäuren, um die Insulinsekretion zu stimulieren.
-20%ige Lösung: bei Herzstillstand: 1.5 ml/kg Körpergewicht i.v. über 1 Minute, dann 0.25 ml/kg Körpergewicht/Minute während 30-60 Minuten i.v.; ohne Herzstillstand: 0.25 ml/kg Körpergewicht/Minute während 30-60 Minuten i.v. Die Therapie kann bei geringem Ansprechen nach 4 Stunden wiederholt werden, sofern die Lipämie abgeklungen ist.
Atropin
-Bei Bradykardie und AV-Block: 0.02-0.04 mg/kg Körpergewicht i.v.
-Ödeme können peripher oder in der Lunge auftreten (nicht-kardiogenes Lungenödem): Furosemid: 1-2 mg/kg Körpergewicht i.v. nach Bedarf; eventuell als konstante Infusion mit 0.2 mg/kg Körpergewicht/Stunde. Cave: aggressive intravenöse Flüssigkeitszufuhr kann zur Entwicklung eines Ödems beitragen!
Alternative Medikamente:
Vasopressoren
Sie sind oft unwirksam bei CCB-induzierter Hypotonie, bei anhaltender Hypotonie sind sie jedoch in Betracht zu ziehen.
-Noradrenalin: 0.05-0.1 µg/kg Köpergewicht/Minute i.v. als konstante Infusion, bis zu einer maximalen Rate von 1-2 µg/kg Köpergewicht/Minute i.v. titrieren.
-Dopamin: 5-20 µg/kg Köpergewicht/Minute i.v. als konstante Infusion, falls Noradenalin nicht verfügbar ist.
-Dobutamin: 2-15 µg/kg Köpergewicht/Minute i.v. als konstante Infusion
Überwachung des Patienten
-Kontinuierliche oder intermittierende Blutdrucküberwachung.
-Kontinuierliche oder intermittierende EKG-Überwachung.
-Überwachung der Elektrolyte alle 12 Stunden.
-Die Nierenwerte sollten täglich überwacht werden.
 

8. Erwarteter Verlauf und Prognose

Die Prognose ist bei frühzeitigem Eingreifen oft gut, aber zurückhaltend bis schlecht, wenn sie nicht auf die Therapie anspricht oder die Einlieferung ins Krankenhaus verzögert wird.
 

9. Literatur

Drugbank online (2024) https://go.drugbank.com/drugs (erfasst am 8.10.2024)
 
Hovda LR, Brutlag AG, Poppenga RH & Epstein SE (2024) Blackwell's five-minute veterinary consult clinical companion: small animal toxicology, 3rd edition. Wiley Blackwell, pp. 145-152
 
PubChem (2024) https://pubchem.ncbi.nlm.nih.gov
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