2. Quellen
Am bekanntesten ist der Einsatz von Ethylenglykol als Frostschutzmittel in Automobilkühlern. Daneben wird Ethylenglykol als Lösungsmittel, als Bestandteil photographischer Entwickler oder als Bremsflüssigkeit verwendet. Diethylenglykol ist ein weit verbreitetes Lösungsmittel, das auch als illegaler Weinzusatz "Berühmtheit" erlangte.
3. Kinetik
Ethylenglykol wird über den Magen-Darm-Trakt schnell resorbiert. Die höchsten Plasmakonzentrationen von Ethylenglykol sind 1-6 Stunden nach Exposition zu messen.
Die dermale Resorption ist schlecht, und stellt nur bei nicht intakter Hautoberfläche ein Risiko dar.
In der Leber wird Ethylenglykol (HO-CH
2-CH
2-OH) durch die Enzyme Alkoholdehydrogenase und Aldehyddehydrogenase metabolisiert. Bei dieser metabolischen Umwandlung entstehen unter anderen: Glycolaldehyd (HO-CH
2-COH), Glycolsäure (HO-CH
2-COOH), Glyoxylsäure (HOC-COOH) und Oxalsäure (HOOC-COOH).
Die Ausscheidung der Metaboliten, wie auch des Ausgangsstoffs erfolgt über die Nieren. Die Plasmahalbwertszeit von Ethylenglykol beträgt etwa 3 Stunden. Wegen Sättigung der Alkoholdehydrogenase ist die Plasmahalbwertszeit im Vergiftungsfall verlängert. Der Plasmapeak ist 1-6 Stunden nach Einnahme.
4. Toxisches Prinzip
Die Ethylenglykolvergiftung läuft in zwei zeitlich getrennten Phasen ab: Ethylenglykol ist verantwortlich für die Symptome der ersten Phase, die verschiedenen Metaboliten führen hingegen zur Symptomatik der zweiten Phase.
Phase 1:
Durch Reizung der Schleimhäute führt Ethylenglykol zu Erbrechen (bei Hund und Katze). Daneben induziert Ethylenglykol einen rauschähnlichen Zustand mit Ataxie und ZNS-Depression.
Phase 2:
Die Alkoholdehydrogenase wandelt Ethylenglykol in Metaboliten um - zum Beispiel Glycolaldehyd und Oxalsäure - die neuro- und nephrotoxisch wirken. Das in der zweiten Phase der Vergiftung vorliegende Nierenversagen resultiert aus der Ablagerung von Calciumoxalatkristallen in den Tubuli. Die Stoffwechselprodukte von Ethylenglykol führen auch zur Ausbildung einer metabolischen Azidose.
5. Toxizität bei Labortieren
Akute orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):
| Maus | Ratte | Kaninchen | Huhn |
Diethylenglycol | | 20'700 | | |
Diethylenglycol-Diacrylat | | 400 | | |
Diethylentriamin | | 1'080-1'400 | | |
Ethylendiamin | | 500 | | |
Ethylendinitrat | | 616 | | |
Ethylenglycol | 7'500 | 4'700 | | |
Ethylenglycol-Acetat | | 8'250 | | |
Ethylenglycol-Diglycidylether | 460 | | | |
Ethylenglycol-Dimethacrylat | 2'000 | 3'300 | | |
Die LD
50 von Ethylenglycol beträgt beim Meerschwein 6'610 mg/kg Körpergewicht.
II. Spezielle Toxikologie - Wiederkäuer
1. Toxizität
Wiederkäuer sind etwas weniger empfindlich auf Ethylenglykol als Monogastrier, vermutlich vermögen die Bakterien im Pansen einen Teil des Stoffes abzubauen.
- | Die minimale toxische Dosis beträgt beim Kalb 2 ml/kg Körpergewicht p.o., beim Rind 5-10 ml/kg (Dalefield, 2003). |
- | Die minimale letale Dosis beträgt beim Rind 10 ml/kg (Crowell et al., 1979; Barigye et al., 2008). |
2. Latenz
Die ersten Symptome der Ethylenglykolvergiftung treten bereits einige Stunden nach der Giftaufnahme auf.
3. Symptome
3.1 | Allgemeinzustand, Verhalten |
| Niedergeschlagenheit, Ataxien, Durst, Lethargie, Festliegen, Koma |
|
3.2 | Nervensystem |
| Paresen, gelegentlich auch Krämpfe |
|
3.3 | Oberer Gastrointestinaltrakt |
| Hypersalivation |
|
3.4 | Unterer Gastrointestinaltrakt |
| Keine Symptome |
|
3.5 | Respirationstrakt |
| Dyspnoe |
|
3.6 | Herz, Kreislauf |
| Keine Symptome |
|
3.7 | Bewegungsapparat |
| Keine Symptome |
|
3.8 | Augen, Augenlider |
| Keine Symptome |
|
3.9 | Harntrakt |
| Bei Aufnahme hoher Dosen: Hämoglobinurie |
|
3.10 | Fell, Haut, Schleimhäute |
| Keine Symptome |
|
3.11 | Blut, Blutbildung |
| Keine Symptome |
|
3.12 | Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation |
| Keine Symptome |
4. Sektionsbefund
Lungenödem, Hirnödem, akute Nierendegeneration mit eingelagerten Oxalatkristallen.
5. Weiterführende Diagnostik
Ethlylenglykol kann in den ersten Tagen nach Aufnahme im Magen-Darm-Inhalt nachgewiesen werden. Im Harn, Serum sowie in der Tränenflüssigkeit kann Glykolsäure nachgewiesen werden. In den Nieren und dem Gehirn sind Calciumoxalatkristalle zu finden.
- | Azotämie |
- | Hypokalzämie |
- | Neutrophilie |
6.Differentialdiagnosen
Bakterielle Pyelonephritis
7. Therapie
- | Krämpfe: Bei Vorhandensein von schweren Krämpfen Xylazin oder Diazepam oder Pentobarbital. |
- | Kreislauf: Bei dramatischem Verlauf Substitution von Flüssigkeit. |
- | Ethanol verhindert die Metabolisierung des Ethylenglykols in toxische Metaboliten durch kompetitive Hemmung der Alkoholdehydrogenase. Kann die Ethanoltherapie nicht rasch (möglichst während der ersten 5 Stunden nach Giftaufnahme) eingeleitet werden, muss mit einem ungünstigen Verlauf gerechnet werden. Initialdosis: 7 ml 20%iges Ethanol /kg i.v. Erhaltungsdosis: 0.4 ml/kg alle 4 bis 6 Stunden. |
7.3 | Weitere symptomatische Massnahmen |
8. Fallbeispiele
8.1 | Eine 1-jährige, weibliche Ziege zeigte Ataxie, Polydipsie, Konstipation und eine Trübung der Kornea. Das Tier wurde mit Mineralöl, Oxytetrazyklin und Thiamin behandelt. Nach 4 Tagen hatte die Ziege eine progressive Ataxie der Hintergliedmassen, Salivation und einen reduzierten Allgemeinzustand. Das Tier wurde in eine Klinik eingeliefert. Dort wurden auch tonisch-klonische Krämpfe beobachtet. Nach genauer Nachfrage ergab sich, dass die Ziege einige Wochen lang frei um eine Autogarage herumlief und sie so Zugang zu Frostschutzmittel hatte. Daraufhin wurde sie mit NaCl-Infusionen, die Bikarbonat und Ethanol (20%) enthielten, behandelt. Dennoch verendete das Tier 4 Stunden später. Bei der Analyse des Rumeninhaltes fand man 130 µg Ethylenglykol/ml. Der Harn enthielt 4 µg/ml Glykolsäure (Boermans et al., 1988). |
|
8.2 | Ein 1-monate altes Jerseykalb wurde in einem komatösen Zustand in eine Klinik gebracht. Trotz symptomatischer Therapie verstarb das Tier einige Stunden später. Es wurde dann einer Sektion unterzogen. Beide Nieren waren grünlich verfärbt und wiesen multiple Zysten in der Medulla und im Kortex auf. Bei der histologischen Untersuchung fand man Calciumoxalatkristalle, wie auch Bezirke mit Fibrose und lymphozytärer Infiltration. Der Besitzer des Tieres wurde nochmals befragt. Tatsächlich war das Kalb 3-4 Tage vor seinem Tod beobachtet worden, wie es an einer offenen Kanne, die Frostschutzmittel enthielt, geleckt hatte (Crowell et al., 1979). |
9. Literatur
Barigye R, Mostrom M, Dyer NW, Newell TK & Lardy GP (2008) Ethylene glycol toxicosis in adult beef cattle fed contaminated feeds. Can Vet J. 49(10), 1018-1020
Boermans HJ, Ruegg PL & Leach M (1988) Ethylene glycol toxicosis in a Pygmy goat. J Am Vet Med Ass 193, 694-695
Crowell WA, Whitlock RH, Stout RC & Tyler DE (1979) Ethylene Glycol Toxicosis in cattle. Cornell Vet 69, 272-279
Dalefield R (2004) Ethylene glycol. In: Clinical Veterinary Toxicology (Plumlee KH ed) Mosby, St. Louis, pp 150-154
Hapke HJ (1975) Alkohole, Äther und Aldehyde. In:Toxikologie für Veterinärmediziner (Hapke HJ ed) Ferdinand Enke Verlag Stuttgart, pp 200-203
Kühnert M (1991) Alkohole. In: Veterinärmedizinische Toxikologie (Kühnert M ed) Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, pp 374-376
Lorgue G, Lechenet J & Rivière A (1996) Ethylene Glycol. In: Clinical Veterinary Toxicology (Chapman MJ ed) Blackwell Science Ltd Oxford, p 101
Plumlee HK (1996) Ethylene Glycol. In: Large Animal Internal Medicine (Smith BP ed) Mosby-Year Book, St. Louis, pp 1913-1914
Radostits OM, Blood DC, Gay CC, Hinchcliff KW (1999) Ethylene glycol. In: Veterinay Medicine (Radostits OM, Blood DC, Gay CC, Hinchcliff KW eds) Saunders Company London, p 1629