2. Quellen
Formaldehyd wird hauptsächlich für Klauenbäder, als Desinfektions-, Konservierungs- und Fixationsmittel verwendet. Formaldehyddämpfe können von verschiedenen Baustoffen oder dem Mobiliar an die Umgebung abgegeben werden und in Innenräumen zu chronischen Expositionen führen.
3. Kinetik
Formalin wird sowohl über den Magen-Darm-Trakt wie auch über die Lungen resorbiert. Im Organismus findet eine Oxidation zu Ameisenäure statt, die Ausscheidung erfolgt über die Nieren. Die im Blut verschiedener Spezies gemessene Eliminationshalbwertszeit für Formaldehyd wird mit 1-1.5 Minuten angegeben. Im Gegensatz dazu beträgt die Halbwertszeit für Ameisensäure (beim Menschen) 45 Minuten.
4. Toxisches Prinzip
- | Lokal nekrotisierende Wirkung durch Eiweissdenaturierung (Koagulationsnekrosen). |
- | Bei Metabolisierung Störung der Lebermitochondrienaktivität, letztendlich den Zelltod herbeiführend. Die Anreicherung von Ameisensäure führt zu Azidose. |
- | Beim Wiederkäuer kurzzeitige Pansenalkalose (wegen Absterben der Infusorien). |
- | Formaldehyd ist mutagen in bakteriellen Testsystemen und karzinogen im Tierversuch, wobei vor allem Nasenepithelkarzinome induziert werden. |
5. Toxizität bei Labortieren
Die LC
50, das heisst die Konzentration von Formaldehyd in der Atemluft, bei der 50% der Tiere nach einer Inhalationsdauer von 30 Minuten sterben, beträgt bei Ratten 0.82 mg/Liter. Die LC
50 nach einer Inhalationsdauer von 4 Stunden beträgt bei Mäusen 0.48 mg/Liter.
Die akute orale LD
50 (in mg/kg Körpergewicht) ist wie folgt:
| Maus | Ratte | Kaninchen | Huhn |
Ameisensäure | 700 | 1`100 | | |
Formaldehyd | | 800 | | |
Methanol | 7`300 | 5`600 | | |
Paraformaldehyd | | 800 | | |
Die LD
50 von Ameisensäure ist beim Hund 4`000 mg/kg Körpergewicht. Die MAK-Werte sind wie folgt: Ameisensäure 5 ppm (9.5 mg/m3); Formaldehyd 0.3 ppm (0.37 mg/m3); Methanol 200 ppm (270 mg/m3).
II. Spezielle Toxikologie - Wiederkäuer
1. Toxizität
Minimal letale Konzentration von Formaldehyd in der Atemluft: 20 ppm.
2. Latenz
Die Latenzzeit bei Vergiftungen beträgt wenige Stunden.
3. Symptome
3.1 | Allgemeinzustand |
| Festliegen, Koma |
|
3.2 | Nervensystem |
| Keine Symptome |
|
3.3 | Oberer Gastrointestinaltrakt |
| Verätzungen in der Maulhöhle und im Oesophagus, Salivation |
|
3.4 | Unterer Gastorintestinaltrakt |
| Kolik, Durchfall, Tympanie |
|
3.5 | Respirationstrakt |
| Irritation der Atemwege durch Formaldehyddämpfe, Rhinopharyngitis, Husten, Dyspnoe |
|
3.6 | Herz, Kreislauf |
| Keine Symptome |
|
3.7 | Bewegungsapparat |
| Keine Symptome |
|
3.8 | Augen, Augenlider |
| Irritation der Augen, Konjunktivitis |
|
3.9 | Harntrakt |
| Keine Symptome |
|
3.10 | Fell, Schleimhäute, Haut |
| Klauenbäder bei Schafen können zu übermässiger Keratinisierung im Interdigitalbereich führen. |
|
3.11 | Blut, Blutbildung |
| Keine Symptome |
|
3.12 | Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation |
| Keine Symptome |
4. Sektionsbefund
Entzündungen und Nekrosen an den Schleimhäuten und der Haut, Rumenitis, Gastroenteritis, Lungenödem nach Vergiftung durch Inhalation.
5. Weiterführende Diagnostik
Nachweis von Formaldehyd in der für die Exposition verantwortlichen Quelle oder in der Atemluft; Nachweis der Ameisensäure in Plasma oder Harn.
6. Differentialdiagnosen
Verätzungen durch andere Desinfektionsmittel (Laugen, Säuren, Phenole), schleimhautreizende Gase, infektiöse Enteritiden.
7. Therapie
- | Kreislauf unterstützen mittels Volumen- und Elektrolytersatz. |
- | Azidose: Bikarbonatinfusion |
7.3 | Weitere symptomatische Massnahmen |
- | Antibiotische Versorgung von Haut- und Augenläsionen, Analgetika. |
- | Nach Inhalation an die frische Luft verbringen, Kortikosteroide und Antibiotika zur Behandlung der Läsionen im Respirationstrakt. |
8. Fallbeispiel
In einer Weideherde von 13 Rindern wurden 4 Tiere festliegend und ein Tier tot aufgefunden. Die Herde war eine Woche zuvor auf diese Weide verbracht worden. Die festliegenden Rinder befanden sich im Koma, hatten einen schwachen Puls und zeigten Koliksymptome. Drei Rinder starben innert 24 Stunden, eines überlebte die nächsten vier Tage, ging dann, trotz Therapieversuchen mit Bronchodilatatoren, Vitaminpräparaten und Magnesiumsulfat ein. Die Sektion ergab ödeme an den Pansenpfeilern und im Abomasum sowie eine Enteritis. Die restlichen Tiere der Herde zeigten mildere Symptome wie Salivation und Stomatitis. Als Vergiftungsquelle wurden Formalinbäder gefunden. Ferner konnte Formaldehyd im Rumeninhalt nachgewiesen werden (Mitchell & Law, 1984).
9. Literatur
Ellenhorn MJ (1997) Ellenhorn's Medical Toxicology, Williams & Wilkins, Baltimore, pp 1214-1217
Hapke HJ (1975) Aldehyde. Toxikologie für Veterinärmediziner, Ferdinand-Enke Verlag, Stuttgart, pp 203-204
Humphreys DJ (1981) Veterinary Toxicology, Baillières Tindall Verlag, London, p 192
Kühnert M (1991) Aldehyde. In: Veterinärmedizinische Toxikologie (Kühnert M, ed) Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, pp 365-367
Mitchell GB & Law JM (1984) Formaldehyde poisoning in cattle. Vet Rec 115, 283-284
Radostits OM, Blood DC, Gay CC & Hinchcliff KW (1999) Formalin. In: Veterinary Medicine (Radostits OM, ed) Saunders Company London, pp 1627
Zettl K (1981) Tierärztliche Aufgaben und Massnahmen in der Schafhaltung. Tierärztl Praxis 9, 445-460