2. Quellen
Chlornaphthaline wurden als Isoliermaterial in Batterien, Kondensatoren, Transformatoren und Kabeln, als Additive zu Hydraulik-, Schmier- und Getriebeölen, als Trägersubstanzen für Farbpigmente, als Zusätze zu Gummiprodukten, zur Imprägnierung sowie gegen Feuer, Insekten- und Pilzbefall von Holzprodukten, Papier und Textilien und als Bindemittel in der Keramikherstellung verwendet. Die Produktion ist wegen der ungünstigen Stoffeigenschaften weitgehend eingeschränkt.
3. Kinetik
Chlornaphthaline können oral, perkutan oder per inhalationem resorbiert werden. Die Ausscheidung erfolgt über die Galle und Milch.
Chlornaphthaline weisen sowohl eine Bioakkumulation als auch Biomagnifikation in der aquatischen Umwelt auf.
4. Toxisches Prinzip
Monochlornaphthaline reizen die Atemwege und Konjunktiven.
Polychlornaphthaline führen zu reduzierten Vitamin A-Gehalten im Serum, vermutlich durch Hemmung der Umwandlung von Karotin zu Vitamin A.
Beim Menschen tritt eine Chlorakne auf.
Zellulär erfolgt eine Induktion von mischfunktionellen Oxygenasen der Cytochrom P450-Familie.
5. Toxizität bei Labortieren
Die Toxizität nimmt mit zunehmendem Chlorgehalt zu.
Akute orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):
| Maus | Ratte | Kaninchen | Huhn |
1-Chlornaphthalin | 1`090 | 1`540 | | |
2-Chlornaphthalin | 886 | 2`080 | | |
Letale Dosis Schweine: 90-100 mg/kg Körpergewicht.
LD
50 Küken: Futter mit 20 ppm eines Gemisches von Penta- und Hexachlornaphthalin.
Letale Dosis Küken: Futter mit 100 ppm eines Gemisches von Penta- und Hexachlornaphthalin, innerhalb von 33 Tagen.
LD
50 Nager: 5 mg bis >1000 mg/kg Körpergewicht, je nach Kongenergemisch.
Toxische Dosis Meerschweinchen: 2.5 mg/kg Körpergewicht/Tag Pentachlornaphthalin p.o.; 1.16 mg/kg Körpergewicht/Tag Pentachlornaphthalin per inhalationem.
Toxische Dosis Lachs: Leberschädigungen und Wachstumsstörungen bei > 2 µg polychlorierten Naphthalinen/g Futter.
II. Spezielle Toxikologie - Wiederkäuer
1. Toxizität bei Wiederkäuern
Die letale Dosis schwankt beim Rind stark: 2-33 mg/kg Körpergewicht hochchlorierte Naphthaline p.o.
2. Latenz
Da Kälber empfindlicher sich als erwachsene Tiere, kommen bei Kälbern eher akute Vergiftungen vor (Latenzzeit 20-30 Minuten bis wenige Tage), während bei adulten Rindern die chronische Form überwiegt (Latenzzeit von mehreren Wochen).
3. Symptome
3.1 | Allgemeinzustand, Verhalten |
| Anorexie, Abmagerung, Apathie; Neigung zu vermehrten Sekundärinfektionen; Kopfschütteln |
|
3.2 | Nervensystem |
| Tremor |
|
3.3 | Oberer Gastrointestinaltrakt |
| Hypersalivation; Ulcera an Zunge und Maulschleimhaut |
|
3.4 | Unterer Gastrointestinaltrakt |
| Durchfall |
|
3.5 | Respirationstrakt |
| Nasenausfluss |
|
3.6 | Herz, Kreislauf |
| Keine Symptome |
|
3.7 | Bewegungsapparat |
| Keine Symptome |
|
3.8 | Augen, Augenlider |
| Lakrimation |
|
3.9 | Harntrakt |
| Polyurie |
|
3.10 | Fell, Haut, Schleimhäute |
| Hyperkeratose beginnend an Widerrist und Rücken (nur bei Rindern und Ziegen, nicht beim Schaf), Alopezie, Schuppenbildung; Schleimhautläsionen am Naseneingang, Flotzmaul, Lippen, Dentalplatte, Gaumen und Zunge |
|
3.11 | Blut, Blutbildung |
| Keine Symptome |
|
3.12 | Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation |
| Rückgang der Milchleistung bis Agalaktie; Infertilität, Abort ohne Abgang der Nachgeburt; Kälber erkranken nach Aufnahme von Milch exponierter Muttertiere und bleiben im Wachstum zurück |
4. Sektionsbefund
Hyperkeratose; epitheliale Hyper- oder Metaplasie der Gallenblase, der Gallengänge, der Speicheldrüsen, des Pankreas und des Genitaltraktes; ulcerative Abomasitis mit ödematöser Schwellung der Schleimhaut; Leber- und Nierendegeneration.
5. Weiterführende Diagnostik
Untersuchung des Futters oder anderer Quellen.
6. Differentialdiagnosen
Mucosal Disease, Bösartiges Katarrhalfieber, Stomatitis papulosa, Maul- und Klauenseuche, nutritiver Vitamin A-Mangel, Zinkmangel, Räude.
7. Therapie
- | Kreislauf unterstützen mittels Volumen- und Elektrolytersatz. |
7.3 | Weitere symptomatische Massnahmen |
- | Eine orale Verabreichung von Vitamin A und E kann die Symptome mildern. Zum Beispiel ein Kombinationspräparat: 1 Million IE Vitamin A-Palmitat und 600 mg Vitamin E-Acetat/Tier/Tag per oral, für 2-3 Tage. |
- | Antibiotische Versorgung von Haut- und Augenläsionen. |
- | Analgetika |
8. Fallbeispiele
8.1 In einer Herde von 101 Rindern waren 10 Tiere von Hautveränderungen betroffen, vier davon wurden genauer untersucht. Die Tiere hatten trockene, dicke Haut, die im Nackenbereich und an den Innenschenkeln Falten bildete. Das Haarkleid war schütter und rauh, die Tiere zeigten Hypersalivation, dünnen Kot, waren abgemagert, hatten beidseitig Tränenfluss, Nasenausfluss und Ulcerationen an der Kornea. Die Köpertemperatur war leicht erhöht. Chlornaphthalin konnte als Ursache der Krankheit identifiziert werden (Panciera et al., 1993).
8.2 Wegen Verneblungsaktionen mit Perchlornaphthalinen sind in den Jahren 1942 bis 1944 14'500 Kälber, Rinder und Kühe gestorben oder mussten notgeschlachtet werden. Die Tiere sind erkrankt nachdem sie das Gras und Heu von betroffenen Gebieten gefressen haben (SF DRS).
9. Literatur
Kühnert M (1991) Sonstige aromatische Verbindungen. In: Veterinärmedizinische Toxikologie (Kühnert M ed) Gustav Fischer Verlag Stuttgart, pp 326-328
Panciera RJ, McKenzie DM, Ewing PF & Edwards WC (1993) Bovine hyperkeratosis: historical review and report of an outbreak. Comp Cont Ed Pract Vet 15, 1287-1294
Plumlee HK (1996) Industrial toxicants. In: Large Animal Internal Medicine (Smith BP ed) Mosby-Year Book St.Louis, pp 1914-1915
Radostits OM, Blood DC, Gay CC & Hinchcliff KW (1999) Highly chlorinated naphtalenes. In: Veterinary Medicine (Radostits OM, Blood DC, Gay CC & Hinchcliff KW eds) Saunders Company London, p 1629
Scott DW (1999) Environmental skin diseases. In: Current Veterinary Therapy Food Animal Practice (Howard JL & Smith RA eds) Saunders Company Philadelphia, pp 714-720
Stöber M (1978) Chlornaphthalinvergiftung. In: Krankheiten des Rindes (Rosenberger G ed) Blackwell Wissenschafts Verlag Berlin, pp 1205-1208
Wagstaff DJ (1973) Effects of chlorinated naphthalenes on liver levels of detoxication enzymes and vitamin A. Toxicol Appl Pharmacol 25, 490-491