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Cumarinderivate

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Die Ausgangssubstanz - Cumarin - ist ein natürlicher Duftstoff, der ähnlich wie die Schoten der Vanillepflanze riecht und in Parfums, Tabakwaren und Kosmetika eingemischt wird. Bei den synthetischen Wirkstoffen, die eine gerinnungshemmnde Wirkung haben, kann zwischen den älteren Cumarinderivaten der ersten Generation (zum Beispiel Warfarin) und den neueren Cumarinderivaten der zweiten Generation (zum Beispiel Chlorophacinon, Diphacinon, Diephenadion, Brodifacoum oder Bromadiolon) unterschieden werden. Warfarin liegt in Form farbloser Kristallen vor. Bromadiolon, Chlorphacinon und Diphacinon erscheinen als hellgelbe Kristalle. Pindon bildet gelbe Kristalle. Brodifacoum ist ein weisses Pulver. Die meisten Cumarinderivate weisen eine ausgezeichnete Lipidlöslichkeit auf.
 

2. Quellen

2.1Natürliche Cumarinderivate
Durch Aspergillus- oder Penicillium-Arten kann in feuchtem (verschimmelten) Heu mit hohem Anteil an Melolitus (M. officinalis, M. altissimus, M. albus) aus Melilotsäure (Dihydro-o-cumarsäure) Dicumarol gebildet werden. Die Substanz hemmt als Vitamin-K1-Antagonist die Synthese von Vitamin K1-abhängigen Blutgerinnungsfaktoren (u.a. Prothrombin, Faktoren VII, IX und X) und führt damit zu Hämorrhagien, auch Süsskleekrankheit (sweet clover disease) genannt. Dicumarol kann im Heu über Jahren persistieren und bei Kaninchen, Pferden, Rindern, Schafen und Schweinen zur Erkrankung führen.
 
2.2Synthetische Cumarinderivate
Diese Substanzen werden chemisch synthetisiert und als Rodentizide oder zu Therapiezwecken als Gerinnungshemmer (zur Thromboseprophylaxe) eingesetzt. Haus- und Nutztiere sind durch Köder gefährdet, die synthetische Cumarinderivate enthalten. Zweitvergiftungen durch Aufnahme der Kadaver von vergifteten Ratten oder Mäusen sind bei Hund und Katze möglich, aber nur mit den neueren Cumarinderivaten der zweiten Generation.
 

3. Kinetik

Cumarinderivate werden langsam aber vollständig aus dem Darmtrakt resorbiert. Im Blut findet eine starke Bindung an Plasmaalbumine statt. Die neueren Cumarinderivate der zweiten Generation weisen eine lange Eliminationshalbwertszeit von mehreren Tagen bis Wochen auf. Die Ausscheidung erfolgt über Harn und Faeces in Form konjugierter Metaboliten.
 

4. Toxisches Prinzip

Cumarin (Synonym Kumarin) selber ist nur wenig toxisch. Nur in hohen Dosen oder bei langandauerner Verabreichung von Cumarin konnten bei Hunden, Schafen, Ratten, Pferden und Rindern eine Leberschädigung mit zentrolobulärer Nekrose festgestellt werden.
Dicumarol (Synonym Dicumarin) und synthetische Cumarinderivate wirken gerinnungshemmend indem sie die Reaktivierung von Vitamin K1 durch das Enzym Vitamin-K1-Epoxidreduktase kompetitiv hemmen. Die Gerinnungsfaktoren II (Prothrombin), VII (Proconvertin), IX (Christmas-Faktor) und X (Stuart-Faktor) werden in der Leber zuerst als inaktive Vorstufen synthetisiert. Im endoplasmatischen Retikulum werden diese Vorläufer durch Carboxylierung eines Glutaminsäurerestes in die aktiven Gerinnungsfaktoren überführt. Dieser Vorgang der Carboxylierung ist mit der Oxidation eines Kofaktors - Vitamin K1 - verbunden, wobei als Oxidationsprodukt das Vitamin-K1-Epoxid entsteht (siehe Abbildung). Die Rückführung dieses Epoxids in die ursprünglich aktive Form von Vitamin K1 wird durch das Enzym Vitamin-K1-Epoxidreduktase besorgt. Der biochemische Schritt der Reaktivierung von Vitamin K1 ist es, der durch die Cumarinderivate verhindert wird:
 

 
In der Gegenwart der Cumarinderivate fällt somit die posttranslationelle Carboxylierung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X aus. Diese Blockierung im Aufbau des Blutgerinnungssystems führt nach Verbrauch der noch vorhandenen Gerinnungsfaktoren zu multiplen Hämorrhagien. Diagnostisch sehr wertvoll ist die Tatsache, dass Faktor VII immer zuerst aufgebraucht wird, beim Hund beträgt die Halbwertszeit von Faktor VII zum Beispiel nur 4-6 Stunden. Zur Ermittlung der exogenen (oder extrinsischen) Gerinnungsaktivität - an dem Faktor VII beteiligt ist - eignet sich der Prothrombinzeit-Test nach Quick. Somit steht eine einfache Laboruntersuchung für die Früherkennung von Cumarinvergiftungen zur Verfügung: während der Anfangsphase der Vergiftung ist der Quick-Test bereits verlängert, bevor klinisch manifeste Blutungen auftreten.
 

5. Toxizität bei Labortieren

Die Toxizität ist abhängig von der jeweiligen Substanz. Cumarinderivate der ersten Generation (Chlorophacinon, Coumachlor, Coumatetralyl, Diphacinon, Pindon, Warfarin) sind bedeutend weniger toxisch als Cumarinderivate der zweiten Generation (Brodifacoum, Bromadiolon, Difenacoum, Difethialon, Flocoumafen).
 

Akute orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):

 MausRatteKaninchenHuhn
Brodifacoum0.40.16-0.40.22-12
Bromadiolon1.750.59-1.131 
Chlorophacinon1.162-20.550 
Coumachlor 900-1'200  
Coumafen37438001'000
Coumafuryl 400  
Cumarin 293-680  
Coumatetralyl 16.5 50
Dicoumarol 542  
Difenacoum0.81.82100
Difethialon1.290.56  
Diphacinon3401.5-1735 
Flocoumafen0.80.250.2 
Methoxycumarin 4'300  
Phentolacin 3.75  
Pindon (Pivaldion) 280150-170 
Pyranocumarin > 4'000  
Valon 100-200100-150 
Warfarin37460 942
 
Bei wiederholter Verabreichung verteilt auf mehreren Tage können die oralen LD50-Werte für Cumarinderivate um bis zu zwei Zehnerpotenzen tiefer liegen. Zum Beispiel ist die orale LD50 für Coumafuryl bei Verabreichung während 5 aufeinanderfolgenden Tagen an Ratten 1.4 mg/kg/Tag. Für Warfarin, Coumatetralyl, Difenacoum und Diphacinon betragen diese mehrtägigen Toxizitätswerten 1 mg/kg/Tag, 1.5 mg/kg/Tag, 0.16 mg/kg/Tag und 0.5 mg/kg/Tag.
 

II. Spezielle Toxikologie - Pferd

1. Toxizität

Einzeldosen von Warfarin im Bereich von 75-100 mg/kg Körpergewicht sind toxisch, aber die repetitive Aufnahme von 2 mg/kg/Tag des gleichen Wirkstoffes kann bereits eine Vergiftung auslösen. Dagegen stehen keine genauen Angaben über die Toxizität der neueren Cumarinderivaten bei Equiden zur Verfügung. Im allgemeinen scheinen Pflanzenfresser jedoch weniger empfindlich gegenüber Cumarinderivate als Nager, Hunde und Katzen zu sein. Die Verabreichung von Medikamenten mit hoher Plasmaproteinbindung kann die Toxizität verstärken (siehe Abschnitt 8.6.2).
 

2. Latenz

Die Cumarinderivate blockieren die Neusynthese der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X. Es dauert etwa 3-5 Tage, bis der Vorrat der noch vorhandenen Gerinnungsfaktoren verbraucht ist und die ersten schweren Gerinnungsstörungen auftreten.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Schwäche, Apathie, Anorexie, Hypothermie
  
3.2Nervensystem
Ataxie, Paresen
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Keine Symptome
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Blutiger Kot, blutiger Durchfall
  
3.5Respirationstrakt
Epistaxis, Dyspnoe, Husten
  
3.6Herz, Kreislauf
Hypotonie (schwacher Puls), Tachykardie
  
3.7Bewegungsapparat
Lahmheit wegen Hämatomen an den Extremitäten
  
3.8Augen, Augenlider
Erblindung infolge Blutungen im Augeninneren
  
3.9Harntrakt
Blutiger Harn
  
3.10Fell, Haut, Schleimhäute
Blasse und zyanotische Schleimhäute, petechiale Blutungen, Diapedesisblutungen, subkutane Blutungen, Hämatome, Blutungen an Injektionsstellen.
  
3.11Blut, Blutbildung
Anämie, Blutungen, verlängerte Blutungszeit
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Aborte
 

4. Sektionsbefunde

Es werden massive Blutungen an den Schleimhäuten sowie im Mediastinum, Thorax, Abdomen und in der Muskulatur gefunden; bei der Sektion ist das Blut nicht geronnen.
 

5. Weiterführende Diagnostik

5.1Gerinnungsparameter: Verlängerte Prothrombinzeit (PT nach Quick), verlängerte Partielle Thromboplastinzeit (PTT). Die PT oder die PTT sollten innerhalb von 4 Stunden nach Blutabnahme bestimmt werden. Wird das Citratplasma gefroren, können die Gerinnungsparameter bis zu 1 Monat lang bestimmt werden. Empfehlung: vor der Therapie mit Vitamin K1 Blut für eine spätere Quick-Bestimmung entnehmen.
  
5.2Nachweis der Cumarinderivate in Futter, Köder, Blut oder Leber mittels chromatographischen Methoden
  
5.3Wegen der relativ langen Latenz sind bei Ausbruch der Symptome die Cumarinderivate schon vollständig absorbiert und eine Untersuchung des Magen-Darm-Inhaltes ist zu diesem späten Zeitpunkt nicht mehr sinnvoll.
 

6. Differentialdiagnosen

6.1Orthopädische Lahmheitsursachen
  
6.2Andere Koagulopathien, die auf eine Verabreichung von Vitamin K1 ansprechen; zum Beispiel Darmsterilisation durch Antibiotika.
  
6.3Andere Koagulopathien, die nicht auf Vitamin K1 ansprechen; zum Beispiel Heparinüberdosierung, Verbrauchskoagulopathien, Vergiftung durch Trichothecene (Schimmelpilztoxine).
 

7. Therapie

7.1Dekontamination
-Sofern die Köderaufnahme beobachtet wurde, kann wiederholt Aktivkohle und Glaubersalz oder Paraffinöl verabreicht werden. Beim Eintritt der Symptome ist die Dekontamination jedoch zwecklos.
 
7.2Boxenruhe
-Wegen der möglichen Verletzungsgefahr ruhige und weiche Boxe anbieten, Medikamente nicht über Nasenschlundsonde verabreichen.
 
7.3Kreislauf
-Parenterale Versorgung mit Flüssigkeit- und Elektrolytersatz. Plasma- oder Bluttransfusion bei schwerer Anämie (Hämatokrit < 20%).
 
7.4Atmung
-Sauerstoffbeatmung.
 
7.5Vitamin K1
-Vitamin K1 (Phytomenadion), zuerst 1-2 mg/kg Körpergewicht/Tag subkutan, verteilt an mehreren Stellen, dann 1-2 mg/kg Körpergewicht/Tag peroral; eine intramuskuläre Verabreichung ist wegen der Blutungsgefahr kontraindiziert. Bei Vergiftungen mit Cumarinderivaten der ersten Generation genügt in der Regel eine Therapiedauer mit Vitamin K1 von einer Woche. Nach Aufnahme von Cumarinderivaten der zweiten und dritten Generation muss diese Therapie unter Umständen während 2-3 Wochen durchgeführt werden, bis der wöchentliche Quick-Test normale Werte erreicht. Zur Sicherheit wird empfohlen, 2 Tage nach Abbruch der Behandlung mit Vitamin K1 nochmals einen Quick-Test zu veranlassen.
 
7.6Regulierung der Körpertemperatur
-Wegen der Gefahr einer Hypothermie Pferd in warmer Umgebung halten.
 
7.7Kontraindizierte Arzneimittel
-Die Vitamine K3 (Menadion) und K4 (Menadiol) eignen sich nicht für die Antidottherapie, weil diese synthetischen Derivate potentiell toxisch sind und eine nur beschränkte koagulatorische Wirkung aufweisen.
-Nicht steroidale Antiphlogistika, Phenothiazinderivate, Sulfonamide, Kortikosteroide, Benzodiazepine oder Furosemid verstärken die Wirkung der Cumarinderivate durch Verdrängung vom Plasmaalbumin und sollten deshalb nicht eingesetzt werden.
-Plasmaexpander wie Dextran 60 sind kontraindiziert, weil diese die Blutgerinnung zusätzlich beeinträchtigen.
 

8. Fallbeispiele

8.1Zwei Wallache (11 und 15 Jahre) haben zusammen etwa 4 kg eines Köders gefressen, der 0.005% Brodifacoum enthält. Beiden Pferden wurde 2 Stunden später je 4 Liter Paraffinöl per Nasenschlundsonde und 700 mg Vitamin K1 i.v. verabreicht. Die Therapie mit Vitamin K1 wurde während 24 Tagen fortgesetzt (2.5 mg/kg zuerst s.c. dann p.o. alle 12 Stunden). Beide Tiere blieben symptomlos. Beim älteren Pferd war der Quick-Test (> 180 Sekunden) anfangs stark verlängert, normalisierte sich aber nach 3 Tagen wieder (McConnico et al., 1997).
  
8.2Eine dreijährige Stute hat eine Hand voll Rodentizid gefressen, das Bromadiolon (0.02%) enthielt. Zur Behandlung wurde eine Magenspülung durchgeführt und Vitamin K1 verabreicht. Das Pferd blieb symptomlos (Tox Info Suisse).
  
8.3Ein Pony hat 100 Gramm eines Rodentizides gefressen, das 0.005% Difenacoum enthielt. Es wurde Vitamin K1 verabreicht, aber das Tier zeigte keine Symptome (Tox Info Suisse).
 

9. Literatur

Galey FD (1997) Toxicology. In: Current Therapy in Equine Medicine (NE Robinson, ed) WB Saunders, Philadelphia, pp 649-673
 
Ellenhorn MJ (1997) Ellenhorn's Medical Toxicology, Williams & Wilkins, Baltimore, Maryland, pp 452-460
 
Felice LJ, Chalermchaikit T & Murphy MJ (1991) Multicomponent determiantion of 4-hydroxycoumarin anticoagulant rodenticides in blood serum by liquid chromatography with fluorescence detection. J Anal Toxicol 15, 126-129
 
Finkel MJ (1961) Vitamin K1 and vitamin K analogues. Clin Pharmacol Ther 2, 794-814
 
Hapke H-J (1988) Toxikologie für Veterinärmediziner, Enke Verlag, Stuttgart, pp 232-234
 
Humphreys DJ (1988) Veterinary Toxicology, Baillière Tindall, London, pp 175-178
 
Kühnert M (1991) Vergiftungen durch Pflanzenschutzmittel, Schädlingsbekämpfungsmittel und Mittel zur biologischen Prozessteuerung. In: Veterinärmedizinische Toxikologie (M Kühnert, ed) Gustav Fischer Verlag, Jena, pp 98-189
 
Liebenow H & Liebenow K (1993) Giftpflanzen, Gustav Fischer Verlag, Jena, pp 129-130
 
Lorgue G, Lechenet J & Rivière A (1987) Précis de Toxicologie Clinique Vétérinaire, Édition du Point Vétérinaire, Maisons-Alfort
 
McConnico RS, Copedge K & Bischoff (1997) Brodifacoum toxicosis in two horses. J Am Vet Med Ass 211, 887
 
Murdoch DA (1983) Prolonged anticoagulation in chlorophacinone poisoning. Lancet 1, 355-356
 
Gangolli S (1999) The dictionary of substances and their effects, Second Edition. Royal Society of Chemistry, Cambridge
 
Perkow W (1988) Wirksubstanzen der Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel, Paul Parey, Berlin
 
Windholz M (1983) The Merck Index, Merck & Co, Rahway, New Jersey
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