2. Quellen
- | Claviceps purpurea gehört zu den Askomyceten (Schlauchpilzen). Er schmarotzt auf verschiedenen Getreidearten und Gräsern (über 300 Wirtspflanzen). Der Pilz bildet ein 1-4 cm langes, blauviolettes, hornartig gekrümmtes Dauermycel (Sklerotium) in den Ähren der befallenen Pflanzen. Dieses Dauermycel wird Mutterkorn oder Secale cornutum genannt. Die Mutterkornbildung wird durch trockene Witterungsverhältnisse begünstigt. Im Mittelalter kam es häufig zu endemischen Vergiftungen, doch heute sind durch moderne Auslesetechnik die Mutterkornvergiftungen selten geworden. |
- | Verschiedene Ergotalkaloide werden therapeutisch genutzt, zum Beispiel zur Anregung der Uterusmuskulatur oder in der Humanmedizin zur Behandlung der Migräne. |
3. Kinetik
Die Resorption nach oraler Aufnahme ist sehr unterschiedlich. Ergometrin wird rasch und fast vollständig, Ergotamin wird langsam und nur unvollständig resorbiert. Die Metabolisierung erfolgt in der Leber und die Metaboliten werden mit der Galle ausgeschieden. Pharmakokinetische Daten von Ergotamin beim Menschen: Orale Bioverfügbarkeit < 1%, Plasmahalbwertszeit 2 Stunden, Verteilungsvolumen 1.8 L/kg. Die Plasmahalbwertszeit von Methysergid beträgt 10 Stunden.
4. Toxisches Prinzip
- | Mutterkornalkaloide wirken an den α-Adrenorezeptoren der Gefässe als partielle Agonisten und führen bei ausreichender Dosis zu einer extremen und langanhaltenden Vasokonstriktion. Diese Wirkung kann das Absterben von Ohren, Nasen und Extemitäten zur Folge haben. |
- | Einige Mutterkornalkaloide (zum Beispiel Ergometrin) bewirken (über adrenerge und serotonerge Rezeptoren) die Kontraktion der Uterusmuskulatur und können somit Aborte auslösen. |
- | Ferner können sich Ergotalkaloide auf das ZNS auswirken (konvulsive Form der Mutterkornvergiftung). Im letzten Drittel der Trächtigkeit ist die Wirkung von Ergotamin auf die Uterusmuskulatur ähnlich wie Oxitocin. |
- | Einige Mutterkornalkaloide hemmen direkt die Prolaktinsekretion und führen somit zu Agalaktie. |
5. Toxizität bei Labortieren
Genaue Angaben zur oralen Toxizität bei Labortieren wurden in der Literatur nicht gefunden.
II. Spezielle Toxikologie - Schwein
1. Toxizität
Ab 0.3% Mutterkornanteil können Gangräne auftreten. Ab 3% Mutterkornanteil wird des Futter wegen der Geschmacksbeeinträchtigung nicht mehr gefressen.
An Zuchtschweine sollte nur mutterkornfreies Getreide verfüttert werden, damit eine Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit ausgeschlossen werden kann.
2. Latenz
Je nach Dosis einige Tage bis Wochen.
3. Symptome
3.1 | Allgemeinzustand, Verhalten |
| Apathie, reduzierte Futteraufnahme bis Futterverweigerung, Hyperthermie, Saugunlust der Ferkel, die zu Schwäche, Kachexie und Tod führen kann |
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3.2 | Nervensystem |
| "Ferkelzittern" |
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3.3 | Oberer Gastrointestinaltrakt |
| Keine Symptome |
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3.4 | Unterer Gastrointestinaltrakt |
| Durchfall als Folgekrankheit bei Ferkeln |
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3.5 | Respirationstrakt |
| Tachypnoe |
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3.6 | Herz, Kreislauf |
| Tachykardie |
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3.7 | Bewegungsapparat |
| Lahmheit, Ausschuhen der Klauen |
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3.8 | Augen, Augenlider |
| Keine Symptome |
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3.9 | Harntrakt |
| Keine Symptome |
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3.10 | Haut, Schleimhäute |
| Nekrosen und Gangrän an Schwanzspitze, Ohren und distalen Extremitäten |
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3.11 | Blut, Blutbildung |
| Keine Symptome |
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3.12 | Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation |
| Agalaktie, mangelhafte Gesäugeanbildung; verkürzte Trächtigkeitsdauer, reduzierte Wurfgrössen, unterentwickelte, lebenschwache Ferkel, Totgeburten; Endometritis, Gebärmutterausfluss, vermehrtes Umrauschen. |
| Als Folge von Agalktie und Milchmangel ist bei den Saugferkeln eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit zu beobachten, vor allem Colidurchfälle, Polyarthritis und Hypoglykämie und -thermie. |
4. Sektionsbefunde
Keine spezifischen Befunde ausser Gangrän und Endometritis.
5. Weiterführende Untersuchungen
5.1 | Toxinnachweis |
| In mehreren Futterproben makro- und/oder mikroskopisch nach Sklerotiden suchen. Chemischer Nachweis mit Flüssig- oder Dünnschichtchromatografie. |
6. Differentialdiagnosen
Wichtigste Differentialdiagnosen: Mastitis-Metritis-Agalaktie (MMA); bakterielle, virale und parasitäre Ferkeldurchfälle; Gangrän als Folge von Gefässverschluss durch septische Emboli und Erfrierungen.
6.1 | Ferkelzittern |
| Myoclonia congenita, Organophosphatintoxikation. |
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6.2 | Durchfall |
| Diätetisch, viral, bakteriell, parasitär, andere Intoxikationen (Aflatoxine, Arsenverbindungen, Blei, Cadmium, chlorierte Kohlenwasserstoffe, Cholecalciferol, Cyanamid, Eisenverbindungen, Fusarientoxine, Fluor, Ionophore, Kochsalz/Trinkwassermangel, Metaldehyd, Phenoxycarbonsäure-Herbizide, Pyrethroide, Ochratoxine, Organophosphate und Carbamate, Quecksilber, Schwefelwasserstoff, Zearalenon, Zink). |
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6.3 | Lahmheit |
| Panaritium, Beinschwächesyndrom/Osteochondrose, Trauma, Arthritiden (z.B. Gelenksrotlauf, Glässer'sche Krankheit/HPS, Polyarthritis der Saugferkel), andere Intoxikationen (Cholecalciferol, Cumarinderivate Eisenverbindungen, Fluor, Selen, Zink). |
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6.4 | Ausschuhen der Klauen |
| Biotinmangel, sich komplizierende und/oder therapieresistente Hornspalten, sehr mangelhafte Klauenpflege, Selenintoxikation, Maul- und Klauenseuche. |
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6.5 | Lochimetra |
| Übelriechender Gebärmutterausfluss bei Retentio secundinarium oder abgestandenen Ferkeln in den Geburtswegen, eitriger Gebärmutterausfluss meist bei MMA. |
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6.6 | Verminderte Fruchtbarkeit anderer Genese |
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6.7 | Abort und Totgeburten |
| Virale, bakterielle oder parasitäre Aborterreger, Uterusinfektionen, mehrtägige Hyperthermie, Stress, saisonale Aborte, andere Intoxikationen (Aflatoxine, Blei, Botulismus, Chinoxalidine, chlorierte Kohlenwasserstoffe, Cumarinderivate, Fumonisin, Fusarientoxine, Kohlenmonoxid, Organophosphate und Carbamate, Selen, Stachybotryotoxikose, Zearalenon). |
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6.10 | Agalaktie und Milchmangel |
| Aujeszky'sche Krankheit, postoperative Kopmplikationen, Mastits-Metritis-Agalaktie, akute Mastitis, Zitzenerkrankungen. |
7. Therapie
7.1 | Futterwechsel auf ein unbedenkliches Futter |
| Dies sollte innerhalb von 3 bis 7 Tagen nach Absetzen des kontaminierten Futters zum Verschwinden der Agalaktie, innerhalb von 2 Wochen zu Verschwinden der gangränösen Veränderungen führen. |
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7.2 | Gangränöse Hautstellen |
| Diese sollten gereinigt, desinfiziert und mit abdeckenden Hautsalben behandelt werden. Um Sekundärinfektionen vorzubeugen, empfiehlt sich der parenterale Einsatz eines Breitspektrumantibiotikums. |
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7.3 | Ernährung der Saugferkel |
| Die Ferkel müssen mit Ersatzmilch getränkt werden. |
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7.4 | Oxytozininjektionen führen nicht zu Milchsekretion |
8. Fallbeispiele
8.1 | In einem Zuchtbetrieb traten gelegentlich Agalaktien bei Mutterschweinen auf. Die betroffenen Mutterschweine hatten jeweils schlaffe, leere Gesäugekomplexe und normale Rektaltemperatur. Betroffene Ferkel wurden mit einer Injektion von Rotlaufserum und Eisen, oralen Antibiotikagaben und Milchersatz behandelt, wodurch Todesfälle vermieden werden konnten. In einem Wurf, in dem die Ferkel eine Sau weiter zu saugen versuchten, traten nach acht Tagen Rötung und Schwellung von Ohr- und Schwanzspitzen und Erosionen an den Karpalgelenken auf. Die betroffenen Körperstellen waren kalt anzufassen. Da der Verdacht auf Mutterkornvergiftung fiel, wurde das Futter makroskopisch untersucht und eine geringe Anzahl von Sklerotien im Hafer gefunden. Fünf Tage nach Einsatz einer neuen unbedenklichen Ration erreichte das Mutterschwein eine fast normale Milchbildung. Die gangränösen Stellen an Schwanz- und Ohrspitzen trockneten aus und fielen ab. Bei den Ferkeln traten keine Todesfälle auf und die Ferkel erreichten ihr Schlachtgewicht im üblichen Zeitrahmen (Anderson & Werdin, 1977). |
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8.2 | In einem Zuchtbetrieb verendeten innerhalb von zwei Monaten ungefähr 50 Saugferkel an Durchfall und Unterernährung, da die Muttertiere trotz mehrmaliger Oxytocininjektionen keine Milch gaben. Der zugezogene Schweinegesundheitsdienst fand bei verschiedenen Tieren folgende Befunde: Leichtgadige Hyperthermie wenige Tage post partum, keine Gesäugeanbildung bei Sauen, die kurz vor dem Abferkeln standen oder bereits abgeferkelt hatten, gelblich-eitriger Gebärmutterausfluss sechs Wochen post partum und sehr kleine Würfe von durchschnittlich sechs bis acht Ferkeln. Eine makroskopische Futteruntersuchung ergab eine grosse Anzahl von Sklerotien im Weizenteil der Ration. Die Laboruntersuchung ergab einen Gehalt von einem Prozent für den Weizen und 0.18 Prozent für die gesamte Futtermischung (Barnikol et al., 1982). |
9. Literaturverzeichnis
Anderson JF & Werdin RE (1977) Ergotism manifested as agalactia and gangrene in sows. JAVMA 170, 1088-1089
Bailey J, Wrathall AE & Mantle PG (1973) The effect of feeding ergot to gilts during early pregnancy. Br Vet J 129, 127-133
Barnikol H,Gruber S, Thalmann A & Schmidt HL (1982) Mutterkornvergiftung beim Schwein, Tierärztl Umschau 37, 324-332
Busse FW (1989) Fruchtbarkeitsstörungen bei Sauen im Zusammenhang mit den Ergebnissen mikrobiologischer und mykotoxikologischer Futtermitteluntersuchungen. Kraftfutter 10, 380-384
Eich KO & Schmidt U (1998) Handbuch Schweinekrankheiten. VerlagsUnionAgrar, Münster, p 141
Ewald C. (1985): Zur Bestandesdiagnostik im Schweineproblembetrieb. Der praktische Tierarzt 5
Hertrampf B (1984) Mykotoxikosen beim Schwein. Prakt Tierarzt 1, 30-34
Osweiler GD (1999) Mycotoxins. In: Diseases of Swine 8th Edition (BE Straw, S D'Allaire, WL Mengeling & Taylor DJ ed.), Iowa State University Press, Ames, p 737
Plonait H (1997) Erkrankungen des Gesäuges. In: Lehrbuch der Schweinekrankheiten (H Plonait & Bickhardt K Hrsg.), Parey Berlin, pp 521-522