2. Quellen
Die häufigsten Quellen von Bleivergiftungen umfassen bleihaltige Farben (zum Beispiel Mennige), Bleigewichte (an Gardinen, Vorhängen, Tischtüchern, Fischereiutensilien, Baustellen), Bleigeschosse oder bleihaltige Schrotkugeln, bleiverseuchte Weiden im Zielbereich von Schussanlagen, Altöl von Motoren, die bleihaltiges Benzin verbrennen, Schmierfette, Batterien, Lötmaterial, Industrieemissionen, bleihaltige Wasserleitungen, Linoleumböden, Druckerschwärze, bleihaltige Töpferwarglasuren, Golfbälle. Mennige enthalten bis zu 50% Bleisalze. Die Emissionen durch bleihaltige Antiklopfmittel haben aufgrund der Verwendung bleifreien Benzins abgenommen.
3. Kinetik
Die orlae Aufnahme von Blei ist der häufigste Weg der Exposition. Metallisches Blei und seine Salze werden nach oraler Aufnahme nur langsam und in geringem Masse resorbiert (die Bioverfügbarkeit liegt unter 10%). Organische Bleiverbindungen wie Bleitetramethyl werden dank ihrer Lipidlöslichkeit fast vollstandig enteral resorbiert und gelangen leicht ins ZNS.
Die Bioverfügbarkeit von Blei ist bei jungen Tieren, bei Tieren mit Calcium-, Eisen-, Zink- oder Vitamin-D-Mangel sowie bei trächtigen oder säugenden Tieren höher. Milch erhöht die Bioverfügbarkeit von Blei, womit die gleichzeitige Milchaufnahme bei Jungtieren die Intoxikation begünstigt.
Bleiverbindungen können auch durch Inhalation oder über die Haut in den Organismus eindringen. Die Bioverfügbarkeit inhalierter Bleiverbindungen beträgt bis zu 80% bei einer Partikelgrösse kleiner als 10 µm.
Nach der Absorption wird ein grosser Teil des Bleis auf Erythrozytenmembranen transportiert. Das aufgenommene Blei reichert sich in den Erythrozyten, in Leber, Nieren, Zähnen, Haaren und Knochen, bzw. in der aktiven Knochenmatrix, an. Letztere dienen als relativ träge Langzeitspeicher.
Im Gewebe wird das metallische Blei von Schrotkugeln oder anderen Projektilen so eingekapselt, dass das Blei nur sehr langsam aus dem Gewebe gelöst und systemisch verteilt wird. Liegen die Geschosse im Bereich von Gelenkkapseln, kann es wegen der Korrosion durch Synovialflüssigkeit zur Bleifreisetzung kommen. Blei wird auch aus Zwischenwirbelräumen, Abszessen, Knochenmark, Lunge oder dem Gehirn herausgelöst.
Die Ausscheidung erfolgt äusserst langsam (über Monate) primär biliär, geringgradig renal, auch über die Milch. Bei der Chelatisierung wird die Urinausscheidung stark erhöht. Die Halbwertszeit beträgt im Blut 1.2 Tage, in den Weichteilen 184 Tage und > 4500 Tage im Knochen. Die Bleidepots in den Knochen können während einer Trächtigkeit wieder mobilisiert werden.
4. Toxisches Prinzip
Die Zellschädigung ist zum Teil auf die Fähigkeit von Blei zurückzuführen, andere mehrwertige Kationen (insbesondere zweiwertige Kationen wie Ca
++ und Zn
++) zu ersetzen, die für die Zellhomöostase wichtig sind. Blei bindet an Sulfhydryl- und andere nukleophile funktionelle Gruppen, was zur Hemmung verschiedener Enzyme und zu Veränderungen im Calcium- und Vitamin-D-Stoffwechsel führt. Durch eine erhöhte Produktion reaktiver Sauerstoffspezies verursacht Blei oxidative Schäden. Es werden auch verschieden biologische Prozesse beeinträchtigt, darunter Metalltransport, Energiestoffwechsel, Apoptose, Ionenleitung, Zelladhäsion, inter- und intrazelluläre Signalübertragung, enzymatische Prozesse, Proteinreifung und Genregulation. Blei hemmt die Hämoglobinproduktion durch Beeinträchtigung mehrerer enzymatischer Schritte im Häm-Weg, was bei chronischer Bleivergiftung zur Anämie beiträgt.
Über diese Mechanismen greift Blei vor allem den Magen-Darm-Trakt, das Nervensystem, die Erythropoese und die Nieren an. Die Schädigungen umfassen im Magen-Darm-Trakt eine lokale Ätzwirkung und vermutlich Schädigung peripherer Nerven; im Nervensystem Kapillarschäden, Veränderung membranständiger Ionenkanäle und Signalmoleküle; in der Erythropoese kommt es zu einer Beeinträchtigung der Hämoglobinsynthese, einer erhöhten Fragilität und verminderten Überlebensrate der Erythrozyten, einer Freisetzung von Retikulozyten und kernhaltigen Erythrozyten aus dem Knochenmark, zu einer Hemmung der 5'-Pyrimidin-Nukleotidase, was zur Retention von RNA-Abbauprodukten, Aggregation von Ribosomen und basophiler Tüpfelung führt; in den Nieren erfolgt eine Beeinträchtigung der proximalen Tubuluszellen durch Störung der Enzyme und oxidativer Schäden.
Bleiverbindungen werden zu den mutagenen und karzinogenen Stoffen gezählt.
5. Toxizität bei Labortieren
Die Toxizität ist abhängig von der jeweiligen Substanz. Gefährlich sind vor allem wasserlösliche Bleisalze, Bleidämpfe und organische Bleiverbindungen.
Akute orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):
| Maus | Ratte | Kaninchen | Huhn |
Bleiarsenat | | 100-825 | 125 | 450 |
Bleichromat | 12'000 | | | |
Bleifluoroborat | | 50 | | |
Bleitetraethyl | | 12 | 30 | |
Bleitetramethyl | | 105 | 24 | |
6. Umwelttoxikologie
Wasservögel sind durch Aufnahme des in verschossenen Kugeln enthaltenen Bleis gefährdet, deshalb werden bei der Jagd vermehrt Kugeln aus Stahl oder anderen Legierungen verwendet.
II. Spezielle Toxikologie - Schwein
1. Toxizität
Schweine sind relativ resistent gegenüber Bleiverbindungen, so dass nur selten mit Vergiftungsfällen gerechnet werden muss.
Die minimale orale toxische Dosis ist 64 mg Bleiazetat pro kg Körperewicht während mehrer Tage.
Minimale orale letale Dosis bei einmaliger Exposition ist 800-1000 mg pro kg Körpergewicht.
Mit zunehmendem Alter abnehmend.
2. Latenz
Je nach Dosis zwischen drei Tagen und mehreren Wochen.
3. Symptome
3.1 | Allgemeinzustand, Verhalten |
| Initial Hyperthermie, zunehmende Anorexie, verminderte Gewichtszunahmen bis Abmagerung, zunehmende Apathie, Ataxie, Zähneknirschen, Bewegungsunlust |
|
3.2 | Nervensystem |
| Muskeltremor, Uebererregbarkeit, Schreien (squealing) |
|
3.3 | Oberer Gastrointestinaltrakt |
| Salivation, Erbrechen |
|
3.4 | Unterer Gastrointestinaltrakt |
| Milder Durchfall, milde klonische Koliken, konsistente, schleimüberzogene, schwarze Fäces |
|
3.5 | Respirationstrakt |
| Keine Symptome |
|
3.6 | Herz, Kreislauf |
| Keine Symptome |
|
3.7 | Bewegungsapparat |
| Arthritis |
|
3.8 | Augen, Augenlider |
| In seltenen Fällen Blindheit |
|
3.9 | Harntrakt |
| Keine Symptome |
|
3.10 | Haut, Schleimhäute |
| Rauhes Borstenkleid, blasses Aussehen, blau verfärbte, scharf abgegrenzte Hautbezirke |
|
3.11 | Blut, Blutbildung |
| Anämie |
|
3.12 | Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation |
| Abort |
4. Sektionsbefunde
Deutliche Verdickung und Rötung der Schleimhäute des Magendarmtraktes und Gelenksveränderungen, petechiale Blutungen im Myo- und Epikard und in den Nieren.
Histopathologisch fallen eine Degeneration der Nierentubuli, Leberstauung, fettige Degeneration von Leber und Nieren und ein Hirnödem auf.
5. Weiterführende Untersuchungen
Nachweis von Blei in vermuteter Toxinquelle, Mageninhalt, Leber, Nieren und/oder Blut.
6. Differentialdiagnosen
6.1 | Neurologische Symptomatik mit gestörtem Allgemeinbefinden |
Meningitis, Sepsis; Infektionskrankheiten wie Ödemkrankheit, Glässer'sche Krankheit, Schweinepest, Aujeszky'sche Krankheit, Tollwut und Listeriose; andere Intoxikationen (
Arsenverbindungen,
Avermectine,
Chinoxalinderivate,
chlorierte Kohlenwasserstoffe,
Cyanamid,
Dipyridinium-Herbizide,
Ethylenglykol,
Ionophore,
Kochsalz/Trinkwassermangel,
Metaldehyd,
Nitrofurane,
Phenoxycarbonsäure-Herbizide,
Pyrethroide,
Organophosphate und Carbamate,
Quecksilber,
Schwefelwasserstoffe,
Strychnin), Vitamin- und/oder Mineralstoffmangel (Kupfer, Magnesium, Vitamin A, Vitamin B
6, Niacin, Riboflavin, Pantothensäure).
Maulschleimhautläsionen, Schleimhautreizende Stoffe; anzeigepflichtige Infektionskrankheiten wie Vesikulärkrankheit, Maul- und Klauenseuche, Aujeszky'sche Krankheit, Tollwut; andere Intoxikationen (
Amitraz,
Botulismus,
chlorierte Kohlenwasserstoffe,
Dipyridinium-Herbizide,
Fumonisine,
Kochsalz/Trinkwassermangel,
Metaldehyd,
Nitrat/Nitrit,
Phenoxycarbonsäure-Herbizide,
Pyrethroide,
Organophosphate und Carbamate,
Schwefelwasserstoffe,
Selen).
6.3 | Blutige oder schwarze Fäzes |
Verletzungen im Rektum oder Analbereich; massiver Befall mit
Trichuris; Erkrankungen, die zu Blutverlust im Gastrointestinaltrakt führen wie Magengeschwüre, Bezoare, Darminfektionen mit
Lawsonia intrazellularis, Brachyspira pilosicoli; andere Intoxikationen (
Aflatoxine,
Arsenverbindungen,
Cumarinderivate,
Dipyridnum-Herbizide,
Eisenverbindungen,
Fusarientoxine,
Kupfer,
Metaldehyd).
Bakterielle Arthritiden (zum Beispiel Polyarthrits der Saugferkel, Glässer'sche Krankheit); Osteochondrose; andere Intoxikationen (
Cadmium,
Cumarinderivate,
Zink).
6.5 | Verminderte Sehfähigkeit bis Blindheit |
Corneaverletzungen und -trübungen; andere Intoxikationen (
Arsenverbindungen,
Botulismus,
Kochsalz/Trinkwassermangel,
Quecksilber,
Selen); Vitamin A-Mangel.
Eisenmangelanämie; Infektionskrankheiten, die zu Blutverlust führen wie Proliferative Enteropathie (
Lawsonia),
Brachyspiren, hochgradiger Befall mit
Trichuris oder
Sarcoptes suis; Magengeschwüre, Bezoare; andere Intoxikationen (
Aflatoxine,
Cadmium,
Cumarinderivate,
Eisenverbindungen,
Fusarientoxine,
Kupfer,
Mutterkornalkaloide,
Selen,
Zink).
Virale, bakterielle oder parasitäre Aborterreger; Uterusinfektionen; mehrtägige Hyperthermie; Stress; saisonale Aborte; andere Intoxikationen (
Aflatoxine,
Botulismus,
Chinoxalinderivate,
chlorierte Kohlenwasserstoffe,
Cumarinderivate,
Fusarientoxine,
Fumonisine,
Kohlenmonoxid,
Mutterkornalkaloide,
Organophosphate und Carbamate,
Selen,
Stachybotrytoxin,
Zearalenon).
7. Therapie
7.1 | Forcierte Ausscheidung |
Chelationstherapie: 25-50 mg CaEDTA, in physiologischer Kochsalzlösung oder in fünf- oder zwanzigprozentiger Glukoselösung als Trägersubstanz, intravenös injizieren. Diese Therapie kann bei Bedarf alle acht bis zwölf Stunden wiederholt werden.
7.2 | Entfernung der (vermuteten) Toxinquelle |
|
7.3 | Trinkwasser ad libitum |
8. Fallbeispiel (Verdachtsfall)
In einem Zucht- und Mastbetrieb, dessen Futter aus Speiseresten eines Spitals und Getreide bestand, verweigerten die Schweine eines Morgens das Futter. Als Ursache wurden Ueberfütterung oder schlechter Palabilität des Futters vermutet. Die noch vorrätigen Speisereste wurden entsorgt. Während der nächsten zwei Wochen zeigten verschiedene Tiere Absatz von hartem schwarzen oder blutigen Kot, Abort, blauviolette Verfärbung einzelner, scharf abgegrenzter Hautstellen, Inkoordination der Hinterbeine und einige Tiere starben. Bei zwei verendeten Tieren wurde bei der Sektion eine Gastroenteritis diagnostiziert. Wiederholte Untersuchungen auf Blei(rückstände) in den Speiseresten und den verfärbten Hautstellen waren negativ. Trotzdem vermutete man, dass aufgrund einer Verwechslung Bleiazetatsalz, das im Spital vorrätig und verfügbar war, unbemerkt ins Futter gelangt war (Bywater, 1932).
9. Literaturverzeichnis
Bywater HE (1937) Lead poisoning in pigs. Vet Rec 49, 549-551
Carson TL (1986) Toxic chemicals, plants, metalsand mycotoxins. In: Diseases of Swine 6th Edition (Leman AD, Straw B, Glock RD, Mengeling WL, Penny RHC, Scholl E ed), Iowa State University Press, Ames, p 690
Lassen ED, Buck WB (1979) Experimental lead toxicosis in swine. Am J Vet Res 40, 1359-1364
Link RP, Pensinger RR (1966) Lead toxicosis in swine. Am J Vet Res 27, 759-763
Lorgue G, Lechenet J, Rivière A(1996) Clinical veterinary toxicology. Blackwell Science, Oxford, pp 124-125